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Kategorien-Archiv: Region

Action Orange – vom Rebberg in die Markthalle

18 Freitag Sept 2020

Posted by Bonvinvant in Baselland, Im Rebberg

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Action Orange, Aesch, Amber Wine, Bajour, Basel, Klus, Klus 177, maischevergoren, Markthalle, orange, Orange Wine, Piwi, Souvignier Gris

Geerntet in Aesch, vergoren in der Markthalle. Zusammen mit dem Weingut Klus 177 und begleitet von den Schweizer Weintagen entsteht ein ganz besonderer Wein unter der Betonkuppel beim Bahnhof. Was bisher geschah…

In weniger als einer Woche durchgegoren. Das ging zackig! Action Orange, der Name ist Programm. Und das Programm gibt’s der Markthalle Basel zu sehen – im Schaufenster, hinter dem sich bis vor Kurzem die Bajour-Redaktion befunden hat.

Von aussen sieht der Orange-Light-District eher unspektakulär aus. Wie ein weisser Plastik-Sarkophag in einem orange beleuchteten Alu-Zelt. Der Schein trügt. Unter dem Deckel dieses Wein-Schreins läuft es rund. Vor allem in der vergangenen Woche. Da haben die für die alkoholische Gärung verantwortlichen Hefen innerhalb von nur sechs Tagen die 92° Oechsle Fruchtzucker der Trauben weggeputzt und zu etwa 13 Vol.-% Alkohol (und Kohlenstoffdioxid) verstoffwechselt.

Einen Blick auf die blubbernde Maische konnte allerdings nur mit etwas Glück erhascht werden – ähnlich wie bei der Fütterung im Zolli. Wegen der Fruchtfliegen musste die gärende Maische (also der Mix aus Most, Beerenhäuten und Kernen) mit einem Deckel geschützt werden. Und das Alu-Zelt darüber sorgte für ein kühles und energie-effizientes Mikroklima. Das orange Licht sorgt für die Show – zusammen mit dem Trauben-Wärter, der die Beeren mit hemdsärmligem Tatendrang zweimal pro Tag vermischt und im eigenen Saft ersäuft hat. Dabei pflügten zwei Arme mit sanften Schwimmbewegungen durch die Maische. Mit dem dritten Arm wurde per Handy fleissig für die Insta-Story dokumentiert – zu sehen drüben bei den Schweizer Weintagen.

Dieses Durcheinander ist wichtig, damit die Gärung smooth und gleichmässig verläuft. Durch das CO2, ein Nebenprodukt der Gärung, werden die Beeren an die Oberfläche geschwemmt und drohen dort auszutrocknen. Das wäre ungünstig und eine unnötige Angriffsfläche für unerwünschte Mikroorganismen. Ausserdem ist die Temperatur im Kern des Bottichs viel Wärmer. Auch deshalb ist ein Ausgleich wichtig – sonst gibt’s ein Donnerwetter. Das ist wie beim Klima.

Surreal sieht er aus, dieser pink-orange Teppich aus kleinen, schrumpeligen Beeren. Samtweich und kompakt. Wenn man die Schrumpeldinger runterdrückt, schäumt es gewaltig. Nachdem die alkoholische Gärung durch ist (und nun die zweite Gärung, der biologische Säureabbau, erfolgt), muss der Kuchen nur noch alle zwei Tage umgewälzt werden. Sonst werden zu viele Gerbstoffe aus den Traubenhäuten extrahiert und unser Baby verbittert.

Ja, die Häute sind noch drin. Wir haben es mit einer Maischegärung zu tun. Und mit der weissen Traubensorte Souvignier Gris. In Kombination ergibt das – einen Orange Wine! Also Weisswein, der wie Rotwein zubereitet wird und durch den Kontakt mit den Häuten eine orange Farbe erhält.

Geerntet wurde am Freitag, 11. September in den Rebbergen der Klus 177 in Aesch. Innerhalb von zwei Stunden haben die Helfer des Markthalle-Teams und der Schweizer Weintage rund 400 Kilo zusammengetragen. Das sollte etwa 300 Flaschen geben. Die biodynamisch kultivierten Trauben sahen nicht nur modellmässig gut aus, sondern waren auch kerngesund. Souvignier Gris ist eine PiWi-Sorte, also eine pilzwiderstandsfähige Neuzüchtung, der keine Traubenkrankheit so schnell auf die Pelle rückt. Deshalb ist sie besonders pflegeleicht und nachhaltig zu bewirtschaften. Und das Wichtigste: Souvignier Gris ergibt richtig guten Wein.

Das zeigt der Orange 2019, mit dem die Macher der Klus 177 sich erstmals auf oranges Terrain begaben. Mit durchschlagendem Erfolg: Die Kleinauflage von 777 Flaschen war im Nu vergriffen und versoffen. Die Ausbeute 2020 wird garantiert grösser ausfallen. Und mit dem Action Orange wird der Klus-Orange zudem noch einen Zwillingsbruder zu Seite haben. Der Unterschied? Der Action Orange wurde nach dem Abbeeren – aka Entrappen – straight in die Markthalle gefahren und dort vergoren.

Und den fertigen Action Orange? Den wird es an den Schweizer Weintagen am 6. und 7. Mai 2021 zu verkosten geben!

Action: Hier kann der Orange vorbestellt werden
Schrein für den Wein: Hier entsteht der Action Orange.
Fast schon kitschig: Souvignier Gris-Trauben in der Klus.
In Action: Kat Fischer (Schweizer Weintage), Christoph Schön (Markthalle) und Lukas Vögele (Klus 177).
Entrappen hat nix mit rappen zu tun…
…sondern dass die Beeren von den Rappen getrennt werden.
Jeder Rappen zählt (jaja…Flachwitz).
Jedes Oechsle° auch – 92 an der Zahl, gemessen von Klus 177-Boss Antoine Kaufmann.
Bei der Klus 177 herrscht Impfpflicht: Sprich, die Maische wird mit bereits gärendem Most «geimpft», damit die Gärung mit den natürlichen Hefen (Spontangärung) in Gang kommt.
Gruppenfettli zum Abschluss.

Sali Saumur – Chenin zämme

24 Mittwoch Jun 2020

Posted by Bonvinvant in Frankreich

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AC Saumur Puy Notre Dame, Chenin, Loire, Saumur, Tête Rouge

Dreimal Chenin Blanc: Der Jardins Esméraldins Genèse Blanc von Xavier Caillard, flankiert von den beiden Tête Rouge-Crus.

Gewisse Weine mag man auf Anhieb. Sie haben eine magische Anziehungskraft – so wie manche Menschen. Chenin Blanc zum Beispiel. Das ist eine Rebsorte, kein Mensch, aber fast so vielseitig. Mal intellektuell und fordernd, mal unkompliziert und zugänglich. Mal schlank und karg, dann wieder üppig und aromatisch. Von sehr trocken bis sehr süss.

Die aromatische Bandbreite und die vielen Spielformen zwischen straffer Säure und einer Süsse in all ihren Schattierungen – das erinnert an Riesling. Nur hat Chenin meist mehr Körper und Gewürznoten.

Vielleicht spielen nicht nur Nase und Gaumen eine Rolle, sondern auch das Ohr. Chenin, das klingt schon schön – wie «scheene» im Baseldytsch. Als Hedonist empfängt man sämtliche Signale des Schönen. Die Sirene des Schönen – beim Chenin Blanc ist sie in Saumur besonders laut. Sali Saumur! Im Herzen der Weinregion Loire auf halben Weg zwischen Orléans und Atlantik, wo die Loire – längster Fluss Frankreichs – ins Meer mündet. Auf einem ähnlichen Breitengrad wie Basel.

Die Weinberge der Loire erstrecken sich über mehrere hundert Kilometer. Am Anfang und am Ende (bei Sancerre und Nantes) wachsen leichte, mineralische Weine aus Sauvignon Blanc und Muscadet. Dazwischen, bei Saumur, wird die Sache deftiger. Hier ist Chenin Blanc der Boss. Die Böden aus Kalk und Tuffstein sind der ideale Nährboden für geschmeidige Weine mit straffer Säure und vollerem Körper.

Die Säure sorgt ausserdem dafür, dass die bekannten restsüssen Chenin der Loire wunderbar balanciert sind. Meinetwegen muss der straffe Nerv dieser Sorte gar nicht durch süssliche Rundungen gepuffert werden. Deshalb flashen mich die Weissen von Manoir de la Tête Rouge: Sie sind knochentrocken, eher karg und von feiner Würzigkeit. Der einfachere Tête d’Ange 2017 hat Anklänge von Honigmelone, hellen Blüten und gelbem Steinobst sowie ein salziges Finish.

Beim anspruchsvolleren l’Enchentoir 2013 wirken die gelben Früchte angetrocknet, begleitet von jodigen Nuancen und einem Hauch Feuerstein. Für komplette Entzückung sorgt der Jardins Esméraldins Genèse Blanc 2004 von Xavier Caillard, einem weiteren Kleinbetrieb südlich der Stadt Saumur. Dieser Chenin vereint alle bisher genannten Nuancen, ist aber komplexer und eleganter – und hat eine Etikette, die man sich am liebsten als Tattoo stechen lassen würde.

Diese drei Saumur-Chenin sind Styler aus einer der vielseitigsten und interessantesten Weinregionen Frankreichs. Eine Hood, die trotz ihrer Grösse und ihres Standings noch viel Unterbewertetes zu bieten hat. Auch Cabernet Franc beim Rotwein. Darauf kommen wir noch zurück. Scheene zämme, Chenin zämme!

Dieser Text wurde erstmals in der bz Basel veröffentlicht.

Siider – Fallobst wird zu Fricktaler Feinkost

24 Sonntag Mai 2020

Posted by Bonvinvant in Aarau, Kolumne, Region

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Apfel, Apfelwein, Cider, Cidre, Frick, Fricktal, Hochstamm, Hornussen, Siider

Siider-Brüder: Cyrill und Ivan Hossli (v.l.).

Was ist noch erfrischender als prickelnder Apfelwein? Ein Tasting im kühlen Apfelweinkeller von Cyrill und Ivan Hossli! Ein urchiges Gewölbe aus Naturstein im Zentrum von Hornussen bei Frick. Hier haben die Brüder früher Feste gefeiert, seit 2013 produzieren sie hier Apfelwein aka Cidre. Oder wie es in der lokalen Lingo heisst: Siider.

Eigentlich ist Siider das Nebenprodukt einer Bieridee. Begonnen hat alles mit einem Holzfass. Ein Kumpel hat es zum Bierbrauen besorgt, dann aber doch keine Verwendung gefunden. Also haben Cyrill (24) und Ivan (28) das Ding mit Apfelmost gefüllt. Die Früchte kamen von den Hochstammbäumen der Grosseltern. Während der Grossvater die Mosterei zunächst kritisch beäugte, wurde der Siider im Freundeskreis mit Begeisterung aufgenommen. Wortwörtlich.

Das Tasting im kühlen Keller zeigt warum: Die Siider eignen sich perfekt, um an einem heissen Sommertag weggezischt zu werden. Sie sind frisch und knackig, haben eine feine Perlage und mit plus minus 7 Volumen einen moderaten Alkoholgehalt. Der aktuell verfügbare Siider trocken 2017 lässt sich salopp mit apfelig charakterisieren, auch etwas gelbes Steinobst, nicht so komplex wie Wein aus Trauben – aber auch nicht so kompliziert. Vergorener Apfelsaft, ungefiltert und ohne Zusatzstoffe. So, wie man das früher schon gemacht hat. Und wie er auch heute wieder von einigen Winzern als willkommene Ergänzung produziert wird.

Für ihren Siider verarbeiten Cyrill, Winzer und werdender Önologe, und Ivan, Baumpflegespezialist mit Cidrerie-Erfahrung in der Bretagne, nicht nur die Äpfel der Grosseltern – sie besorgen sie sich auch bei Bauern aus der Umgebung. Wenn möglich aus Bio-Anbau. Wobei viele Hochstämmer sowieso kaum gespritzt werden, da ihre Früchte oft keine Verwendung mehr finden. Da kommen die Siidre-Brüder gerade recht. Sie machen Fallobst zu Fricktaler Feinkost.

Aktuell umfasst das Sortiment einen Schaumwein und einen Stillwein. Der Most-Mix aus verschiedenen Sorten wird über ein Jahr in gebrauchten Weinfässern ausgebaut. Gefragt sind Sorten wie Bohnapfel oder Boskop mit viel Säure und Gerbstoff neben der Frucht. Als besonderes Zückerli gibt’s irgendwann einen Eis-Siider, ein bernsteinfarbiges Konzentrat – gekeltert aus gefrorenem Most – das mit seiner Süsse und der reifen Fruchtaromatik perfekt als Dessertbegleiter taugt.

Bevor dieser süsse Siider im Umlauf ist, wird bald der Jahrgang 2018 lanciert – und das Lineup mit sortenreinem Siider erweitert. Wie Trauben sollen auch Äpfel ihren individuellen Charakter zum Ausdruck bringen dürfen: Der Boskop ist hefig und herb, der Bohnapfel weicher und fruchtiger – sie ergänzen sich perfekt. Wie die beiden Brüder.

Dieser Text wurde erstmals in der bz Basel veröffentlicht.

Lagrein, der gute Stoff vom Himmelsdach

12 Dienstag Mai 2020

Posted by Bonvinvant in Italien, Kolumne

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alpiner Wein, Alto Adige, Cantina Tramin, Dolomiten, Italien, Lagrein, Muri-Gries, Pergola, Südtirol, Tramin, Vernatsch

Rumhängen auf der Pergola: Die Top-Lagrein von Muri-Gries und der Cantina Tramin.

In einer Pergola lässt es sich gut leben. Als Traube fände ich das voll ok. Einfach so rumhängen da oben in einem Himmel aus Blättern. Im Frühling macht sich der Frost am Boden entlang vom Acker und im Herbst hängen meine süssen Früchte in luftiger Höhe – unerreichbar für das verschleckte Wild. Und der Wind, der von den Bergen herunterweht, kitzelt untenrum und sorgt dafür, dass es nie zu feucht wird im Gebälk. Nur der Hagel… tja. Manchmal gibt’s halt aufs Dach.

Ich wäre Italiener, umgeben von Alpen und Deutsch sprechenden Winzern. Wo bin ich? Im Südtirol aka Alto Adige! Das Engadin liegt hier näher als die italienische Schweiz – aber im Ticino gibt’s immerhin noch vereinzelt Weine von der Pergola. Wenn auch oft nur von «Chatzeseicherli»-Trauben. Nicht so im Südtirol. Hier hängt der gute Stoff am Himmelsdach. Aber auch hier musste die Pergel-Erziehung in den letzten Jahrzehnten untendurch. Wenn die Reben-Soldaten Spalier stehen ist das halt einfach wirtschaftlicher.

Dabei werden aus diesen Hochstämmern grandiose Weine gekeltert! Das beweisen zwei Lagrein Riserva-Weine des jetzt erhältlichen Jahrgangs 2017: Der «Abtei Muri» von Muri-Gries und der «Urban» der Cantina Tramin. Beide enthalten auch Pergola-Trauben.

Berge, Bäume, Reben…so siehts aus im Südtirol – hier leider ohne Pergola.

Lagrein ist neben Vernatsch die wichtigste rote Sorte der Weisswein-Bastion Südtirol. Hier, wo mit knapp 5500 Hektar etwas mehr Reben wachsen als im Wallis, steht über die Hälfte des weltweiten Lagrein-Bestandes. Tendenz steigend. Er ist der Lokalmatador, der bloody Boss in der Hood. Die beiden Beispiele zeigen warum: alpine Rotweine mit Charme und Kraft eines Südländers und der ätherischen Frische eines Cool-Climate-Crus. Weine mit ordentlich Säure und Tannin, aber auch mit Frucht, Schmelz und Power. Manchmal kann Lagrein auch etwas rustikal sein. Er ist halt ein Bergler.

Die Lagrein von Muri-Gries besticht mit dunkler Frucht, floralen Nuancen und animierender Kräuterwürzigkeit. Der Tramin-Cru ist reifer, opulenter, mit süsslicher, noch vom Barrique geprägter Aromatik und samtweichem Abgang. Beide symbolisieren die Entwicklung vom Massenträger zum Spitzenwein, der vermehrt nach Einzellage abgefüllt wird.

Sie erzählen die Geschichte von Schweizer Benediktinern, die 1845 von Muri nach Bozen kamen, um die Abtei in Gries zu übernehmen. Oder von der Cantina Tramin, die beweist, dass man auch als Genossenschaft Spitzenweine von Weltformat keltern kann. Die historische Abtei steht im Talkessel von Bozen, Provinzhauptstadt und Lagrein-Epizentrum. Die Cantina Tramin thront talabwärts in einem futuristischen Neubau, einer ziemlich krassen Bude für eine Genossenschaft. 

Umklammert werden beide Weingüter durch die Berge. Vom Süden her weht der süsse Wind des italienischen Dolce Vita. Es muss nicht immer Nebbiolo oder Sangiovese sein. Manchmal muss Lagrein rein. Am besten von der Pergola.

Das Kellereigebäude der Cantina Tramin: die Fassadenstruktur erinnert an Rebranken.
Klein und verschwommen: Da hat’s doch noch ne Pergola ins Bild geschafft (oben links).

Dieser Text wurde erstmals in der bz Basel veröffentlicht.

Eine Südtirol-Reportage zur Bergwerk-Bergung «Epokale»-Gewürztraminers der Cantina Tramin gibt’s hier zu lesen.

Aurèle Morf – sein Cabernet kommt aus dem Jura

20 Montag Apr 2020

Posted by Bonvinvant in Kolumne, Schweiz

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Bern, Birs, Birstal, Cabernet Jura, Cave Saint-Germain, Chardonnay, Jura, Moutier, Piwi, Sauvignon Blanc, Soyhières, Valentin Blattner

Aurèle Morf, Meister des Cabernet Jura.

Moutier war kein Weinbaudorf. Zumindest nicht bis 2008. Dann kam Aurèle Morf und hat hier – mit dem Übermut eines jungen Wilden – einen Rebberg angepflanzt. Schön erhöht gelegen am Rand des Städtchens neben einem Gefängnis und der Kirche Saint-Germain. Benannt hat er sein Weingut nicht nach dem Knast, sondern nach dem stattlichen Gotteshaus, das seinen Namen wiederum einem der Stadtväter verdankt.

Aurèle Morfs Cave Saint-Germain befindet sich in einem historischen Gewölbe ein paar Steinwürfe von der Kirche entfernt. Die Schatzkammer liegt hinter einem stattlichen Holztor mit kunstvollen Gravuren – ein Winzer und ein Skelett. Die angrenzende Mauer muss schon einiges erlebt haben, sie ist verwittert und von Moos überwuchert. Als jüngster Zeitzeuge prangt ein Slogan an der Wand: «Moutier, ville jurassienne!», daneben das Jura-Wappen. Das scheint nicht allen zu passen – beides wurde wieder durchgestrichen. Dope sprayen können beide Seiten nicht.

Kirche, Knast und Rebberg – die heilige Dreifaltigkeit dieses Weinbergs.

Man ist sich immer noch nicht einig, ob das Städtchen südlich von Delémont lieber – wie aktuell – zu Bern oder eben doch zum Kanton Jura gehören soll. Auf der anderen Strassenseite, hinter einer ebenso verwitterten Mauer, wird mit lauter Musik gefeiert – surreale Szenen währen des Corona-Lockdowns. Ob die wissen, dass der Nachbar den geilen Stoff im Keller hat?

Landwein vom Feinsten

Betreten wir Aurèle Morfs Reich. Den kühlen Keller. Hier hat er 2005 seine ersten Weine gekeltert. Da wuchsen in Moutier noch gar keine Trauben. Diese besorgte sich der junge Wanderarbeiter im Wallis oder im Tessin. Einige dieser Weine hat Morf heute noch im Sortiment. Etwa den «Funambulesque 2016», eine Assemblage aus Chardonnay und Sauvignon Blanc mit krass aromatischem Bouquet – reifes gelbes Steinobst, flankiert von süsslicher Würze – und mineralisch-frischem Kontrastprogramm im Gaumen. Die Trauben wachsen im Wallis, was auf dem Etikett aber verheimlicht wird. «Vin de Pays Suisse», steht da – das ist weinrechtlich die Kategorie, in der experimentierfreudige Winzer die grössten Freiheiten haben.

Cabernet Jura: Ziemlich Pilzresistent, aber gegen Hagel und Wild braucht’s trotzdem ein Netz.

Künftig möchte sich Morf auf seinen kleinen Hausberg in Moutier fokussieren. Schweizer Jura – diese Hood haben nur eine Handvoll Winzer vorzuweisen. Ausserdem kultiviert Morf hier mit Cabernet Jura eine Rebsorte, die noch ziemlich neu und unbekannt ist. Und die hier im Jura gezüchtet wurde: in Soyhières, wenige Kilometer birsabwärts zwischen Delémont und Basel.

Cabernet Jura, der Boy aus der Hood

Cabernet Jura ist eine Nordwestschweizer Rarität aus dem Birstal, gezüchtet von Valentin Blattner, der Anfang 90er-Jahre seine Rebenzucht von Reinach in den Jura verlegte. In ein Tal, das eigentlich viel zu feucht ist für Weinbau – aber perfekt für Blattner, der auf die Zucht sogenannter PiWi-Rebensorten spezialisiert ist. Das sind pilzwiderstandsfähige Kreuzungen europäischer Vitis Vinifera-Sorten mit resistenten Arten aus Amerika oder Asien. Beim Cabernet Jura hat Cabernet Sauvignon als Vater mitgepimpert. Der Vorteil von PiWi-Neuzüchtungen: dank ihrer Resistenz müssen sie viel weniger gespritzt werden. Sie sind ökologischer. Ihr Nachteil: die Weine können geschmacklich etwas ungewohnt daherkommen. Beim Cabernet Jura macht sich das, wie ich finde, je nach Machart durch eine ausgeprägte Kräutrigkeit bemerkbar.

Junger Veteran einer noch jüngeren Rebsorte

Diese ist auch bei Aurel Morfs «Enclos des deux Saints 2017» zu finden und erinnert an Lorbeerblätter oder grüne Peperoni. Daneben sorgen kräftige Fruchtnoten – etwa schwarze Johannis- oder Holunderbeeren – sowie eine süssliche Würze für Balance.

Links der «Clos des Deux Saints» – rechts der fantastische Funambulesque 2016.

Wohin der Weg bei Aurèle Morfs Cabernet Jura gehen könnte, zeigen die Fassproben: Aus seinen 0,6 Hektar in Moutier hat er 2019 drei verschiedene Weine gekeltert: Schaumwein und Rosé, beide frischfruchtig und mit unverschämtem Trinkfluss, sowie einen dichten Rotwein mit Lagerpotenzial.

Man merkt: Morf hat den Dreh raus beim Umgang mit dieser so jungen Rebsorte. Kein Wunder. Seine ersten Erfahrungen hat er 2002 bei Valentin Blattner gesammelt.

Dieser Text wurde erstmals in der bz Basel veröffentlicht.

Weltherrschaft dank alten wilden Walliser Reben

07 Samstag Mär 2020

Posted by Bonvinvant in Kolumne, Uncategorized, Wallis

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Chanton, Chanton Weine, Chosy, Eyholzer Roter, Gouais Blanc, Gwäss, Heunisch, Himbertscha, Josef-Marie Chanton, Lafnetscha, Mario Chanton, Oberwallis, Plantscher, Resi, Schweiz, Visp, Wallis

Verstossen, vergessen und fast ausgestorben. Wer die Weine der Visper Winzerfamilie Chanton verkostet, entdeckt absolute Raritäten: Weisse Rebsorten wie Lafnetscha, Himbertscha, Plantscher, Gwäss und Resi oder Eyholzer Roter. Sie wurden von Josef-Marie «Chosy» Chanton seit den 70er-Jahren in verwilderten Restbeständen wiederentdeckt und neu angepflanzt.

Himbertscha und Plantscher, beide mit einem Schweizer Bestand von weniger als einem Hektar, gibt’s ausschliesslich bei Chanton zu kaufen. Der Oberwalliser Familienbetrieb hat das Monopol auf die Sorten – weltweit. Bei Lafnetscha teilen sich vier Winzer die Weltherrschaft. Die Raritäten werden immer beliebter – Seltenheit macht sexy. Früher wurden sie stiefmütterlich behandelt.

Früher «Bettschisser», heute Übermutter

Plantscher musste als Sammelbegriff für unbekannte weisse Sorten herhalten. Der säurebetonte Gwäss (aka Gouais Blanc, Heunisch oder «Bettschisser»…Elternteil einiger der heute bekanntesten Rebsorten) wurde mit Vorliebe am Rand der Weinberge angepflanzt, um naschenden Traubendieben denn Appetit zu verderben (bevor er mit Fendant ersetzt wurde). Und der Lafnetscha war lange als Warnung zu verstehen: Das lapidare «Laff nit scho» hiess soviel wie «trink noch nicht» – so ruppig muss der junge Wilde nach dem Abfüllen gewesen sein. Früher wurden viele Sorten allerdings auch oft nicht ganz ausgereift und mit hohem Ertrag geerntet. Die Konsequenz: Massenweine mit zweifelhaftem Ruf.

Josef-Marie Chanton und Sohn Mario, der das Weingut seit über zehn Jahren führt, haben die Oberwalliser Raritäten nicht nur wiederbelebt. Sie haben sie auch rehabilitiert, indem sie beweisen, dass diese Sorten hervorragende Weine hervorbringen. Wilde weisse Walliser mit eigenem, manchmal eigenwilligem Charakter.

Weltherrschaft – jawoll!

Schön zu sehen etwa beim Himbertscha und beim Plantscher aus dem Jahr 2018. Beide spontan vergoren, wie alle Chanton-Weine. Ein kongeniales Duo: Während der Himbertscha mit opulenter Frucht (ja, auch etwas Himbeere, der Name kommt aber von «im Bercla» – in der Pergola), exotischen Nuancen und einer frischen Kräutrigkeit in der Nase überzeugt, trumpft der Plantscher mit seinem rustikal-kargen Bouquet vor allem im Gaumen auf. Mit einem kraftvollen, würzig-herben Finish. Trotz weniger als 12 Volumen haben die Crus einen recht üppigen Körper mit cremiger Textur.

Die Weine sind der beste Beweis, dass es sich als Winzer lohnt, auf das Erbe ureigener Reben zu setzen. Vor allem wenn man dann die Weltherrschaft über diese Sorte hat.

Dieser Text wurde erstmals in der bz Basel veröffentlicht.

Alsace gone wild – Piraten, Partisanen und Punks

17 Sonntag Nov 2019

Posted by Bonvinvant in Dreiland, Elsass, Kolumne

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Alsace, Brutes, Domaine in Black, Dreiland, Dreiländereck, Elsass, Lambert Spielmann, Mulhouse, natural wine, Naturwein, partisan, Punkt, Raisins Sociaux, Riesling, Rouffach, Saint-Pierre, vigneron, vin libre, vin naturel

Frei wie der Wein: Der 2018er-Riesling markiert Lambert Spielmanns zweiten Jahrgang.

Die polternden Fäuste der singenden Winzer bringen die Weinflaschen auf dem Tisch zum tanzen. Dahinter hängt eine Piratenfahne an der Wand. Auf den Etiketten der tanzenden Traubensäfte steht «Libre Comme Le Vin», «Socialitre» oder «Mafia Vin Free». Es ist spät. Es ist laut. Es wird gelacht.

Hier, am Stand dieser jungen, wilden Elsässer Winzer, lässt sie sich gut ausklingen, die «Brut(es)» – eine Weinmesse in Mulhouse, die sich ganz den «vins naturels» verschrieben hat. Die lebendigste Ecke wird von den jungen Elsässern besetzt, das ist nicht zu überhören. Raisins Sociaux heisst das Weinkollektiv. Daneben Lambert Spielmann. Auf seiner Visitenkarte steht Partisan Vigneron.

Ein cooles Bild geben sie ab mit ihren Irokesenschnitten, Motörhead-Pullis und den stylischen Weinetiketten. Aber was heisst das schon? Winzer nach Sympathiepunkten abzugrasen ist so oberflächlich, wie Weine nach dem Etikett einzukaufen. Also Obacht!

Erster Schluck. Erleichterung. Die können was! Der Rosé der Raisins Sociaux bietet unkomplizierten Trinkspass. Manche Crus sind noch etwas ungehobelt und rustikal – wie ihre Macher, könnte man jetzt floskeln – aber sie gehen runter wie nix. Die Piratenstory hinter einigen Weinen lässt aufhorchen: gekeltert aus Trauben, die man sich von verlassenen Rebbergen besorgt hat.

Partisan Vigneron: Lambert Spielmanns Weingut heisst «Domaine in Black» – wer ist wohl Lambert auf diesem Bild?

Das Revier der Freibeuter liegt bei Rouffach zwischen Mulhouse und Colmar. Lambert Spielmann, ihr partner in crime nebenan, keltert seine Crus in Saint-Pierre etwas weiter nördlich. Sein Riesling «Libre Comme Le Vin 2018» offenbart Noten von gelbem Steinobst, frisch angeschnittenem Apfel, Zitronengras und hellen Gewürzen. Ein Weisser mit kühl-kargem Charme und vibrierender Säure – vor allem in Anbetracht des heissen Jahrgangs. Im Abgang mit einer schönen Salzigkeit, die der Winzer dem Alter der 70- bis 80-jährigen Rebstöcke zuschreibt.

Die Reben hat Spielmann gepachtet. Anders als viele andere Elsässer Winzer entstammt er nicht einer Weinbaudynastie. Sein Riesling markiert erst die zweite eigene Ernte. Einen Weingutnamen sucht man auf dem 2018er-Etikett vergebens. Inzwischen hat der 31-Jährige einen kleinen Einmannbetrieb gegründet, die Domaine in Black. In Anlehnung an seine Lieblingsfarbe, seinem Hund Blacky und den dunklen Kleidungsstil, den der «Partisan Vigneron» gerne pflegt als Bassist der Punkband «La Consigne». Das macht den Wein natürlich nicht noch besser. Die Story aber schon.

Gib mir die Ghettofist: Links das Duo von Raisins Sociaux, dahinter der Partisan – sozusagen in Deckung.

Dieser Artikel wurde erstmals in der bz Basel publiziert.

Poolboy mit Pappbecher – ein Vitovska straight outta Karton

18 Freitag Okt 2019

Posted by Bonvinvant in Italien, Kolumne

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Edi Kante, Friaul, Friaul-Julisch-Venetien, Italien, Kante, Karst, Lido, Triest, Venedig, Vitovska

Au Pappe: Poolboy mit Pappbecher, kürzlich in Venedig.

Wie dieser Weisswein leuchtet – strahlend gelb wie eine Zitrone im Schnee. Das muss am weissen Pappbecher liegen. Schöner Kontrast! Fast so krass wie die Diskrepanz zwischen dem Trinkgerät aus Karton und diesem exquisiten Hotel am Lido von Venedig. Wenn es darum geht, ein Weinglas an den Pool zu schmuggeln, hört hier der Spass auf beim Padrone an der Bar.

Den Trinkspass kann dieser pappige Liebestöter trotzdem nicht verderben – dafür ist der Wein viel zu gut. Ein Vitovska 2015 des legendären Edi Kante, frisch wie eine Zitrone im Schnee. Wäre der Himmel über der Adria klarer, könnte man den Blick von Venedigs vorgelagertem Strand vielleicht bis zum Golf von Triest schweifen lassen. Dort, auf einem hügeligen und karstigen Hochplateau der DOC Carso, wächst der Wein, den ich im Glas habe. Pardon – im Karton.

Friaul-Julisch-Venetien, kurz Friaul, heisst die Weinregion im Nordosten Italiens. Ganz im Osten des Friaul, auf einem wenige Kilometer schmalen Küstenstreifen zwischen der Adria und der Grenze zu Slowenien, liegt am Fuss der Alpen die grenzübergreifende Heimat der Vitovska-Traube. Fast wäre sie in Vergessenheit geraten und buchstäblich vom Erdboden verschwunden.

Renaissance im Funky Friaul

Doch die benachbarten Winzer Edi Kante und Benjamin Zidarich – inzwischen beides Legenden – verhalfen der heimischen Rarität in den 80er-Jahren zu einer Renaissance. Quasi im Gleichschritt mit dem Aufschwung der Weissweine aus dem Friaul, wo bis Mitte der 60er noch rote Rebsorten dominierten. Inzwischen haben internationale weisse Sorten wie Chardonnay oder Pinot Grigio die Macht und Massen an sich gerissen. Daneben verfügt das Friaul aber – vor allem im Osten – über spannende einheimische weisse Varietäten. Vitovska zum Beispiel, der bei Kante-Kumpel Zidarich auf der Maische vergoren zu sensationellem Orange Wine gekeltert wird. Hier duftet es dann auch eher nach Orangenzeste denn nach Zitrone.

Das raue Karst-Klima zwischen Alpen und Adria mit seinen starken Winden sowie den hohen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht, begünstigt die Aromabildung. Das Resultat: frische und mineralische Weine, die genug Charakter haben, um auch einem Ausbau im Holzfass Stand zu halten. Bei Edi Kante ist der Holzeinsatz dezent: Sein Vitovska verbringt ein Jahr im gebrauchten Barrique und sechs Monaten im Stahltank. Die Aromatik reicht von Zitronenschale über knackiges Steinobst und helle Gewürze bis hin zu Physalis. Der Wein ist so frisch und langanhaltend, dass ihn nicht mal ein Pappbecher kaputtkriegt.

Wie eine Zitrone im Schnee: Im Glas schmeckt Edi Kantes Vitovska trotzdem besser.

Die gekürzte Version dieses Artikels wurde erstmals in der bz Basel publiziert.

Wannaz, der Winzer-Wizzard aus dem Lavaux

10 Donnerstag Okt 2019

Posted by Bonvinvant in Chasselas, Kolumne, Waadt

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Schlagwörter

Biodyn, Biodynamie, biodynamisch, Genfersee, Gilles Wannaz, Lac Leman, Lavaux, Naturwein, vin naturel, Waadt, Wannaz

Wer im Glashaus sitzt: Aussicht vom Winter- in den Winzergarten der Domaine Wannaz.

Verwildert. Verwünscht. Verlassen. Feigen am Wegrand, Palmen an der Hauswand. Das Gemüsebeet umzingelt von wilden Kräutern und Blumen. Und Reben, natürlich. Der Blick über den Genfersee zu den Alpen ist atemberaubend. Weit und breit kein Winzer. Wie weggezaubert. In einem Verschlag, hängen, stehen und liegen Sägen und Siebe, Sicheln und Sensen. Ein Kupfertopf, in dem Asterix ein Wildschwein schmoren könnte. Allerlei Krimskrams. Stillleben einer Winzerwerkstatt, eines Zauberers.

Plötzlich steht er da, Gilles Wannaz. Zack, haben wir ihn im Glas, den Chasselas. Kurze Haare, weisser Dreitagebart, Hornbrille – der Winzer, nicht der Wein. Seit über 30 Jahren wirkt er im Herzen des Lavaux, seit 2003 nach biodynamischer Philosophie. Ein Pionier im Revier. Auch ein Philosoph und Poet. Die Etiketten seiner Weine sind gespickt mit Gedichten und Geschichten.

Gilles Wannaz, Winzer, Gastgeber und Multitalent.

Vor allem die Chasselas zeigen, warum nicht nur die UNESCO-zertifizierten Weinterrassen des Lavaux legendär sind, sondern auch die Crus, die darauf wachsen. Hier ist die heimische weisse Sorte Chasselas die Königin. Auch bei Wannaz, obwohl der Wahnsinnige auf seinen 4,5 Hektar nicht weniger als 26 Rebsorten kultiviert. Während sich die klassischen Grand Cru-Chasselas aus St. Saphorin und Epesses frischfruchtig, subtil und floral geben, zeigt die Landwein-Version «Vin en vérité» – ebenfalls aus dem heissen 2018 – mehr Muskeln und eine reifere Frucht. Die Würze ist süss, fast exotisch. Sortentypisch sind sie alle drei.

Ein verwinkeltes Bijou hoch über dem See

Die Chasselas sind untypisch typisch für Gilles Wannaz. Viele Weine des Wizzards sind es nämlich nicht. Merlot und Syrah würde man im Lavaux nicht unbedingt erwarten. Auch deshalb klassifiziert er seine erstklassigen Weine als vermeintlich einfache «Vin de Pays». Wannaz zelebriert auf der Etikette lieber seine poetische Ader, als sie mit der prominenten Herkunftsbezeichnung zu schmücken.

Die Domaine, ein verwinkeltes, altehrwürdiges Bijou hoch über dem See, gleicht einem Gesamtkunstwerk: Kritzeleien auf den Weintanks, kunstvolle Kronleuchter und Antiquitäten, stilsicher arrangiert und dennoch von wilder, chaotischer Schönheit. Das Pendant zum grünen Paradies vor der Haustüre. Als hätten hier Jean Tinguely, Harald Nägeli oder Andy Warhol persönlich Hand angelegt.

Hier tüftelt Wannaz nicht nur an seinen Weinen. Hier kocht er auch für Gruppen bis zu 80 Personen. Es muss ein Erlebnis sein. Denn hier möchte man Feste feiern, bis die Sonne über dem Genfersee wieder aufgeht.

Kupferkessel und Krimskrams: Stillleben aus der Küche eines Winzer-Wizzards.

Funfacts – was es sonst noch zu erzählen gibt

  • Früher hat Gilles Wannaz auch schon das Bühnenbild für Stephan Eicher gestaltet.
  • Seine Weine sind «voyages immobiles». Mit ihnen holt er die Welt an den Genfersee.
  • Wannaz etikettiert seine Crus meist als Vin de Pays. Nach AOC-Richtlinien wird nur der Chasselas abgefüllt – «Ich mag die Tradition, die Kultur, die muss man pflegen. Ein Syrah mit einem Epesses-Etikett interessiert jedoch niemanden.»
  • Das sagt Gilles über sich selber: «Ich koche wie meine Mutter und mache Wein wie mein Vater.»
  • Er mischt auch schon mal mit Tee aus Weinblättern mit Wein und raucht dazu getrocknete Weinblätter, liest man zumindest.
  • Wannaz arbeitet biodynamisch, ein verbissener Dogmatiker ist er aber nicht: «Sulfit ist ein natürlicher Bestandteil des Weins», sagt er und ergänzt lachend: «wenn man radikal gegen Sulfit ist, ist das auch eine Form von Rassismus. Schwefel kann auch für Spannung sorgen.» Er sucht die Einfachheit im Wein. Die Freiheit.
  • Wannaz ist ein Philosoph, auf der Etikette seines Muscat 2018 steht etwa: «De son île aux sovenirs éoliens bourrasque décoiffante sur un air lémanique.»

Die gekürzte Version dieses Artikels wurde erstmals in der bz Basel publiziert.

Julien Guillon – Sein Pinot steht unter Strom

18 Sonntag Aug 2019

Posted by Bonvinvant in Kolumne, Wallis

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Schlagwörter

ayent, Biodyn, Biodynamie, buitonnaz, Electric Water, Fully, julien guillon, Naturwein, Sion, suisse, Valais, vin, vins libre, vins naturel

Smoke on the Weinberg: Julien Guillon, Macher des «Electric Water».

Donnerwetter. Dieses «Electric Water» schlägt ein wie ein Blitz. Ein Pinot Noir aus dem Wallis. Himbeerrot und milchig, als wäre er durch einen Gletscher gesickert. Die duftigen Donnerwolken, die in die Nase steigen, sind dunkler und deftiger. Man stelle sich Holunderbeeren vor. Oder Sauerkirsche. Das Himbeerjoghurt schimmert dezent durch die Wolkendecke. Veilchen ebenso. Für Spannung sorgt eine frische Kräuterwürzigkeit, die duftet wie frisch verhageltes Unterholz.

Auch im Gaumen zuerst der Blitz – die vibrierende Säure – dann donnern Frucht und Würze rein. Im Mund ist der Cru ein Tick rustikaler. Radikaler. Doch er entwickelt sich zu einem schönen Finale mit frischer Mineralik und einem etwas stoppligen Tannin-Teppich. Das ist ok – der Wein ist noch jung. Mit frischen 12 Volumen und dem kräutrigen Charakter ist der «Electric Water» ein typischer Cool-Climate-Wein.

18 Parzellen, 25 Weine: Ein kleiner Ausschnitt aus dem Lineup von Julien Guillon.

Pardon! Ich bin ungestüm wie ein Wolkenbruch reingeplatzt und habe Pinot verspritzt – ohne den Winzer vorzustellen. Das wird jetzt nachgeholt: Der «Electric Water» stammt aus dem Jahr 2018 – und von Julien Guillon. Dieser stammt aus Genf, wurde im Burgund ausgebildet und hat sich bei Sion im Unterwallis niedergelassen. Dort macht er seit 2017 Wein. Auf den Etiketten seiner Crus stehen Sachen wie «méthode agricole de Rudolf Steiner», «Vin de Pays Suisse» oder «contient des sulfites naturel».

Zu Deutsch: biodynamischer Rebbau, der Winzer nimmt sich mit dem Label «Landwein» die grösstmögliche Freiheit – und er setzt keinen Schwefel zu. Also keine Sulfite. Man merkt: Guillon macht vins naturel. Gewachsen im Einklang mit der Natur, gekeltert ohne Zusätze. Da könnte man meinen, dass der Name «Electric Water» eine metaphysische Ebene hat. Denkste! Es ist viel trivialer: Die Pinot Noir-Reben dieses Weins wachsen bei Ayent neben einem Elektrizitätswerk. Hier fliessen nicht nur Megawatt sondern auch die Rhône, einer der wichtigsten Ströme Europas.

Die Reben stehen also doppelt unter Strom. Oder daneben. Gut so, Spannung ist das Gegenteil von Langeweile. Und so sind auch die Weine von Julien Guillon. Der elektrische Rebberg ist eine von 18 meist kleinen Parzellen des bald 37-Jährigen. Eine der tiefsten. Seine höchste Lage liegt bei Fully auf 900 Meter über Meer. Ein privilegierter Fleck mit viel Sonne und kühlen Nächten.

Hier sind die Reben aber auch den Kräften der Natur ausgesetzt. Zum Beispiel Frost. Oder dem Hagelsturm, der die Reben vor einer Woche heimgesucht hat – kurz vor der Ernte. Das schmerzt. «2019 hat sich schon jetzt in meine Seele eingebrannt», sagt Guillon bevor er wieder in den Rebberg klettert. Dort ist er, der fast alles alleine und in Handarbeit erledigt, viel lieber als an Weinmessen. Trotzdem verkauft er 80 Prozent seiner Crus ins Ausland. Dank Social Media. Vor allem aber dank seiner elektrisierenden Weine.

  • Biodiversität: Guillon legt grossen Wert auf die Begrünung zwischen den Rebzeilen – beim Nachbar ist der Boden kahl.
  • Diese Farbe! Mit dem «Ni Blanc Ni Rouge» keltert Guillon einen beachtlichen Rosé aus der Gamaret-Traube.
  • Im Element: Julien Guillon checkt seine Gamay-Reben oberhalb von Ayent bei Sion.

Dieser Artikel wurde erstmals in der bz Basel publiziert.

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