Kommt Zeit, kommt Rat. Oder Ratte. Oder Maus. So ein spannendes Rennen habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Der eine Wein hat den Start verkackt, der andere das Finish.
Der Klettgau Pinot Noir von Markus Ruch – einem meiner liebsten Schweizer Winzer – gab sich zunächst widerspenstig und stand unter akutem Korkverdacht, während der Côtes du Jura – ein Trousseau von Etienne Thiebaud – mit Vollgas den Gaumen eroberte. Straffe Frucht, dicht gewoben und stoffige Struktur.
Damit war der Thiebaud sowas wie die Turboversion des Arbois – ein Poulsard von La Pinte – der leichtfüssiger und säurebetonter daherkam und das Rennen mit strammer, gleichmässiger Pace souverän durchzog. Rustikal und funky.
Aber ebä: Kommt Zeit, kommt Rat. Nach einer Strafrunde in der Karaffe rollte der Ruch das Feld von hinten auf. Und präsentierte sich so, wie man Ruchs Pinots kennt: elegant und ätherisch.
Beim Spitzenreiter, dem Poulsard, gings in die andere Richtung: Auf den Spass im Glas folgte auf der Ziellinie das Grauen im Gaumen. Ein unangenehmer, pampiger und modriger Pelz nahm die Zunge in den Würgegriff – Maus! Ein Weinfehler, der vorkommen kann bei solchen Crus. Einmal im Mund, kriegt man das nassgraue Fell kaum mehr aus dem Gaumen. Schade. Hätte der Wein keine Konkurrenz gehabt, wär er in einem Zug leergesoffen worden…bevor dessen ruppige Rückseite in den Vordergrund rückt.
Nun denn. Die Letzten werden die ersten Sein. Aus die Maus.
Sag Riiiesling: Der Rheinriesling von Markus Ruch kann sich auch ennet der Grenze sehen lassen. Im Hintergrund grünt ein Cidre-Baum.
Dieser Riesling! Frisch und vibrierend wie ein Bergsee. Man
würde sich am liebsten reinlegen. Der See müsste irgendwo in Deutschland oder
Österreich liegen – bei den Königen des Rieslings. Aber der hier stammt aus der
Schweiz! Seine Hood heisst Klettgau bei Schaffhausen. Und der See ist ein
Bergbach – der Rhein.
Eingeklemmt zwischen dem Rheinfall und der deutschen Grenze wachsen die Reben von Markus Ruch. Einen Namen gemacht hat sich der Winzer vor allem mit seinen unverschämt guten Pinot Noir. Das Potenzial dieser Rebsorte, im Zusammenspiel mit den kalkhaltigen Lehmböden des Klettgau, hat Ruch 2007 dazu bewogen, sich nach seinen Wanderjahren im «Blauburgunderland» niederzulassen.
Scharf wie Rasierklingen
Ruch ist einer der wenigen Schweizer Riesling-Winzer. Und
mit diesem Exemplar kann er den Königen jenseits der Grenze durchaus die Krone
streitig machen. Weil in der Schweiz bei der Sorte aber viele immer noch an
Riesling-Silvaner denken, betitelt Ruch seinen Cru wohlweislich als
Rheinriesling. Riesling-Silvaner hat nämlich nix mit Riesling zu tun. Darum
nennt man dieses Irrwesen heute oft Müller-Thurgau.
Einen solchen hat Ruch ebenfalls im Sortiment – ausgebaut in der Ton-Amphore. Vorerst beschäftigen wir uns aber mit seinem Riesling. Dieser zeigt sich von einer frischen, zitrusfruchtigen Seite. Plus Kräuterwürze und Mineralik. Die Säure schneidet besser als meine Rasierklingen. Vitales Kerlchen. Und knackig: Auch etwas Granny Smith ist auszumachen. Die Apfel-Assoziation ist oft typisch für Riesling. Ich verwende sie hier aber vor allem als perfekte Überleitung zu Ruchs neustem Projekt – der Mosterei Oswald + Ruch.
Look at the Lineup: Links die Pinots, rechts die Cidres – und dazwischen der Riesling.
Zusammen mit seinem Freund Benjamin Oswald hat Ruch vor zwei
Jahren damit begonnen, aus den Früchten vernachlässigter Apfel- und Birnenbäume
prickelnde Obstweine mit wenig Alkohol zu keltern. Cidre! Als Winzer in
«Mostindien» liegt das auf der Hand. Mit ihrem Engagement unterstützt das Duo
nicht nur das Überleben rarer alter Hochstamm-Sorten – sie engagieren sich auch
für die Biodiversität. Denn Monokultur ist Gift für die Artenvielfalt. Ein
Aspekt, der beim Weinbau viel zu oft ignoriert wird. Nicht aber bei Oswald und
Ruch. Dank erfolgreicher Crowdfunding-Aktion können sie ihr Start-up nun
vorantreiben. Mit seiner Diversifizierung verringert Ruch auch das
Klumpenrisiko, das man als Winzer mit sich trägt – etwa bei Spätfrost oder
Hagel, die innert Stunden einen ganzen Jahrgang killen können.
Ob Riesling, Cidre oder Amphore – für Ruchs Pinots habe ich am meisten Amore. Es sind die Blauburgunder, die mich regelmässig niederknien lassen. Mein Erweckungserlebnis hat mir ein 2014er aus der Hallauer Haalde beschert. Nachdem ich den geöffneten Pinot Noir vier Monate im Kühlschrank vergessen hatte, präsentierte sich dieser danach im Glas immer noch mit einer sagenhaften Strahlkraft. Das hat mich mindestens so verblüfft wie die Fliege, die mit ins Glas geflutscht ist – so ist das mit der Biodiversität.