Jung und ambitioniert – der Thomas Jost hat im Schlipf Grosses vor. Der Bonvinvant hat den Fricktaler Winzer in den Reben über Riehen besucht.

Winzer im eigenen Rebberg: Thomas Jost übernahm Anfang 2014 die Pacht des Schlipf von Rebmeister Köbi Kurz.
Irgendwie erinnern diese Reben an die zusammengeflickten Zombies von Frankenstein: eine weisse und eine rote Sorte, gewaltsam vereint am selben Stock. Oben die frischen Chardonnay-Triebe, unten der zurückgestutzte Strunk 13-jähriger Merlot-Stämme. Die jungen Ruten wurden mit einem Schnitt in das Altholz implantiert und saugen nun Nährstoffe aus dem ausgedehnten Wurzelwerk der ehemaligen Rotwein-Rebe.
Die Frankenstein-Stöcke am Fuss des Riehener Weinbergs Schlipf symbolisieren die Wachablösung, die hier Anfang Jahr vollzogen wurde: Der 26-jährige Winzer Thomas Jost hat die insgesamt 3,2 Hektar umfassenden Weinberge von Rebmeister Köbi Kurz übernommen. Dieser hatte sich seit 1979 um die Gemeindereben im Schlipf gekümmert und ging Ende 2013 in Pension. Mit Jost hat ein ebenso junger wie ambitionierter Winzer die grösste Reblage in Basel-Stadt übernommen – und ein leidenschaftlicher Anhänger der grossen Burgunder Weine aus roten Pinot-Noir- und weissen Chardonnay-Trauben. Womit auch die Frankenstein-Aktion erklärt wäre. «Merlot gibt es nicht im Burgund», erklärt Jost den Sortenwechsel. Also gedeiht nun im Schlipf erstmals Chardonnay.
«Es gibt viel zu tun», sagt Jost. Ein Steinwurf entfernt dümpelt das Riehener Naturbad am Wieseufer vor sich hin. Auf der Weilstrasse davor wurde im Januar 1977 ein Riehener Grenzwächter von den RAF-Terroristen Christian Klar und Günter Sonnenberg niedergeschossen. Sie hatten die Rebberge im Schlipf genutzt, um in der Schweiz unterzutauchen. Gut möglich, dass sie jenen Schlagbaum etwas weiter oben am Hang passieren mussten, neben dem Jost ebenfalls jungen Chardonnay gepflanzt hat – hier ohne Frankenstein-Geschnippel.
Inzwischen steht der Winzer im hintersten Zipfel des Schlipf und blickt über die Jungreben ins Tal. Ein Schritt zurück und er steht in Deutschland. Jost kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. «Diese Aussicht ist schon genial.» Von den Dächern Riehens über den St.-Chrischona-Hügel weiter nach Süden, wo neben der Silhouette von Basel der St.-Jakob-Park zu erkennen ist. Noch breiter wird das Grinsen von Jost, als sein Blick nach unten wandert. Auf die Reben, für die er nun verantwortlich ist. «Kleinbeerig, locker und gesund – so ideale Trauben habe ich während meiner Lehrjahre in der Schweiz noch nie gesehen», sagt der Winzer über die bereits in einem satten blauviolett leuchtenden Pinot-Noir-Beeren. Mit ihnen hat Jost Grosses vor. In zwei Jahren soll der aus ihnen gekelterte Blauburgunder – so heisst die Sorte auf Deutsch – unter dem Namen «Le Grand» für Furore sorgen.
«Ich will zeigen, dass auch in Basel hervorragender Pinot Noir wächst – wir sind nicht nur geografisch näher am Burgund als die Bündner Herrschaft», sagt Jost mit Blick auf die helvetische Pinot-Hochburg in der Südostschweiz. Er schwärmt von den kalkreichen Böden im Schlipf, der Burgunder Pforte, die für ein einzigartig mildes Klima sorgt, und vom kühlen Nachtwind aus dem Wiesental, der die Reben trocknet, die Aromenbildung vorantreibt. «Im Burgund behaupten sie gerne, dass die Jurakalk-Böden bei ihnen beginnen und hier enden – ich sehe das umgekehrt», sagt Jost mit einem Augenzwinkern.
Dieses Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr: Trotz seiner erst 26 Jahre kann Jost auf knapp eine Dekade Winzererfahrung zurückgreifen. Nach den Lehrjahren im Aargau, in Graubünden und im Zürcher Unterland arbeitete er auf Top-Betrieben im deutschen Riesling-Paradies an der Mosel (Weingut Vollenweider) und in Österreich (Weingut Gerhard Markowitsch). Und bei Hanspeter Ziereisen im süddeutschen Efringen-Kirchen, wenige Fahrminuten vom Schlipf entfernt. Beim Markgräfler Winzer amtete Jost bis Ende 2013 während vier Jahren als Kellermeister – und mit ihm hat sich der Fricktaler um die Pacht des Riehener Weinbergs beworben.
Neu wird der Betrieb nämlich nicht mehr von einem Gemeinde-Rebwärter sondern von einem externen Betrieb bewirtschaftet. Überzeugt haben Jost und Ziereisen das Auswahlgremium und den Gemeinderat damit, dass sie neu die Trauben selber zu Wein verarbeiten – mitten in Riehen. Zuvor wurde die Ernte jeweils in der Coop-Kellerei vinifiziert. Für ihr Gemeinschaftsprojekt haben Jost und Ziereisen die Weingut Riehen AG gegründet.Während Jost den Laden schmeisst, führt Ziereisen sein Weingut in Efringen-Kirchen weiter und steht seinem Ex-Kellermeister mit Rat, Tat oder Infrastruktur zur Seite. «Er ist quasi mein Götti», erklärt Jost, inzwischen Winzermeister. Da der Götti auf Weinreise am anderen Ende der Welt weilt, kümmert sich der Fricktaler aktuell auch um dessen Reben.
Langeweile kommt bei Thomas Jost also keine auf – zumal die Ernte mit jedem Tag näherrückt. «Es darf noch einmal schön regnen und dann soll es einen goldenen Herbst geben.» Voraussichtlich Ende September können mit dem Weissburgunder und dem Sauvignon Blanc die ersten Trauben gelesen werden. Damit dürfte Jost einer der ersten Winzer in der Nordwestschweiz sein – die tiefe Lage und das milde Mikroklima im Schlipf machen es möglich.
Gekeltert werden die Weine neu in einem Nebentrakt der Mosterei im Zentrum von Riehen, gleich neben dem Sarasinpark. Seine Weine lässt Jost ohne Beigabe von Reinzuchthefen spontan vergären, danach landen sie unfiltriert in der Flasche. So sollen authentische, möglichst naturnahe Weine mit hohem Wiedererkennungswert entstehen – bis zu 25’000 Flaschen pro Jahr. «Das ist wenig bei dieser Fläche», erklärt Jost. Wie bei allen grossen Gewächsen steht hier Qualität über Quantität. Das gilt auch für die schlanke Produktpalette: Die Weine heissen schlicht «Le Grand» und «Le Petit». Die vom Basler Kalligrafen Andreas Schenk gestalteten Etiketten sind ebenfalls schlicht, klassisch – und orientieren sich am zeitlosen Design grosser Burgunder.
Als erster Wein von Jost & Ziereisen kommt der Le Petit Sauvignon Blanc 2013 in den Verkauf. Wer wissen will, ob Josts Pinot-Noir-Flaggschiff den Bündnern die Herrschaft streitig machen kann, muss bis Ende 2015 warten. Noch mehr Geduld braucht es, bis der erste Chardonnay geköpft werden kann – diesen gibt es voraussichtlich 2017. «Als Junger will man immer alles auf einmal», gibt Jost zu. «Doch gerade beim Wein benötigt es halt Zeit.»
Zusatzinfo: Weinbau im Riehener Schlipf
Basel-Stadt verfügt über knapp 4,8 Hektaren Rebland, dass allermeiste davon im Riehener Schlipf. Dort bewirtschaftet Thomas Jost alleine 3,2 Hektaren. Neben Jost ist Urs Rinklin der einzige professionelle Winzer auf Stadtboden; daneben agieren knapp eine handvoll Hobbywinzer im Schlipf.
Angebaut werden in Riehen die Sorten Blauburgunder (Pinot Noir), Chardonnay, Gutedel, Weissburgunder (Pinot Blanc), Riesling-Sylvaner und Sauvignon Blanc.
Wie der Gemeindehompage zu erfahren ist, blickt der Rebbau in Riehen auf eine Tradition von über 1200 Jahren zurück. Für reiche Basler des 16. bis 18. Jahrhunderts war der hier gepflegte Rebbau ein wichtiger Grund, sich in Riehen ein Landgut zu halten. 1770 betrug die Rebfläche rund 70 Hektaren; sie diente vor allem der Versorgung der Stadt Basel mit dem damals wichtigen Lebensmittel Wein.
Dieser Artikel erschien erstmals in der Basler Zeitung vom 06. September 2014.$
