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Ich bin aufs Schlimmste vorbereitet. Darauf, dass der Wein nach abgestandenem Blumenwasser stinkt. Oder nach nassem Hund. Auf bittere Aromen, die sogar eine Artischocke schockieren würden. Vor mir steht nicht irgendein Wein, sondern mein Wein! Birstaler Muskat 2019 aus dem eigenen Garten. In dieser surrealen Zeit der Isolation ist der Moment der Wahrheit gekommen: Tauge ich als Wein-Selbstversorger? Zögerlich ziehe ich der Flasche den Zapfen aus dem Rachen.
Aufatmen. Die Farbe ist ganz ok. Eine milchige Mischung aus Lachsorange und Bronze. So sieht es aus, wenn der Saft der weissen Trauben nach der Ernte nicht direkt abgepresst wird. Ich habe die Fruchtsauce aus Saft, Fleisch, Häuten und Kernen (aka die Maische) vier Tage lang ziehen lassen wie einen Teebeutel. Orange Wine! Die satte Farbe steht im gut. Aber der Härtetest folgt ja erst noch.
Doch – das ist ein Wein
Durchatmen. Im Glas zappeln bereits Fruchtfliegen. Ein gutes Zeichen? Die ersten Duftnoten machen Hoffnung: Orangenschale, Orangenblüten, Grüntee und eine feine Kräuterwürzigkeit – so riechen auch andere Weine dieser Machart! Es ist ein Wein! Jetzt nur nicht euphorisch werden. Mit der Zeit kommt nämlich ein säuerlich beissender Duft dazu. Nicht gut. Könnte Essigsäure sein. Fruchtfliegen mögen Essig. Gopf!
Jahrelang habe ich die Pergola mit Birstaler Muskat – eigentlich eher eine Tafeltraube –gehätschelt als wäre sie der wertvollste Rebberg der Welt. Habe sie hochgebunden und runtergeschnitten, vor hungrigen Wespen und stramm geschossenen Fussbällen geschützt. Habe Oechsle gemessen und Tagebuch geführt. Und jetzt das!
Neue Seuche oder gelungenes Experiment?
Ausatmen. Folgt die Ehrrettung im Mund? Nein. Mein Gaumen zieht sich zusammen als hätte ich in eine Orange gebissen – mit Schale. Sehr krautig, viele Gerbstoffe. Vielleicht war das keine so gute Idee mit dem Teebeuteln? Könnte aber auch sein, dass es nicht optimal war, dass ich damals auf Polterreise in Malle war als der Wein fertig war mit der Gärung. Dann wird er nämlich besonders anfällig für unerwünschte Effekte – Oxidation zum Beispiel. Oder Essigstich. Habe ich da etwa aus Versehen eine neue Seuche gezüchtet? Aus Fehlern lernt man. Und ich habe schon verdammt viel gelernt!
Ich schnappe nach Luft. Der Wein auch. Es tut ihm gut – er gibt sich nun etwas sanftmütiger und kann beinahe als trinkbar betitelt werden. Er ist mit Sicherheit mein bisher erfolgreichstes Experiment. Die Flasche ist jedenfalls fast leer (eine von insgesamt vier). So weit bin ich noch nie gekommen. Auch wenn die Sinne schon etwas getrübt sind, sehe ich eines glasklar: Das Weinmachen überlasse ich auch in Krisenzeiten lieber den Profis. Schliesslich gibt es so viele gute Winzer, deren Weine unsere Aufmerksamkeit verdienen. Auf sie mit Gebrüll!
BVNT Birstaler Muskat 2019 – Facts & Figures
- Geerntet am 14. September 2019
- 90° Oechsle im Schnitt
- Ernte-Menge: rund fünf Kilo
- Most-Menge: 3,2 Liter
- 4 Tage auf der Maische
- Abfülldatum: 13. Oktober 2019
- Produktion: 4 Flaschen (2x mit SO2-Zusatz, 2x ohne)
- Reben: zwei Pergola-Rebstöcke im siebten Jahr
Dieser Text wurde erstmals in der bz Basel veröffentlicht.