Nach 20 Jahren als Punk-, Metal- und Hardcore-Konzertveranstalter beginnt Martin Schrader eine Winzerlehre. Als Basler in Baden. Das war wahnwitzig, mutig – und ein grosses Glück für alle, die seine Weine verkosten. Oder saufen. Wir haben beides gemacht und uns dabei kna(c)kige eineinhalb Stunden vor Live-Publikum in der Kleinbasler Renée Bar über Sachen unterhalten wie…
…das Weinfestival «Badischer Weinbahnhof», den er am 20.11. in Basel organisiert …seinen biodynamischen Schaumwein aus der Dose …seinen superlimitierten, handgemachten «Flimmer»-Wein …wie er das mit mit dem «Fuck AOC» auf seinen Weinetiketten meint …was er mit seinen 4,5 Hektar am Tüllinger Berg vorhat …und warum er nach 2 Dekaden Musikbiz noch einmal ganz von vorne begann
Zu Besuch im Aargauer Freaktal bei Tom Litwan, einem Meister des Schweizer Pinot Noir. Dabei erklärt der Burgund- und Champagner-Aficionado unter anderem:
…warum er zögerte, als er seine Rebfläche verdoppeln konnte …warum Schwefel nicht des Teufels ist …und warum er seinen Weinen (zum Glück) ein schlechter Helikopter-Vater ist
Und wir haben Erstaunliches gelernt – zum Beispiel, dass der Aargau früher mehr Rebfläche hatte als das Wallis.
Diese Schaumweine haben wir getrunken: – Litwan Wein – Petite Meslier 2016 – Litwan Wein – Blanc de Noir Extra brut 2016
Verkostet: Litwan Wein – Thalheim Chalofe 2019
Dieser Pinot ist viel zu jung. Eigentlich… Die Younguns von Tom Litwan sind oft zurückhaltend und reduktiv. Viele blühen erst nach mehreren Jahren so richtig auf. Das findet auch Tom. Nicht aber dieses Ding hier. Der Thalheim Chalofe 2019 brettert straight drauf los, wie es sich für einen Jugendlichen gehört. Aber nicht wild, sondern voller Finesse.
Ein perfekter Pinot Noir. Die Frucht ist dunkel, die Würze ätherisch, die Struktur straff und elegant, das Finish voller Mineralik und die Gerbstoffe schon bestens gebändigt. Ein Wein, der in die Tiefe geht statt in die Breite. Von wegen verschlossen… ganz grrrrosses Kino! Kaum auszumalen, wie dieser Wein ist, wenn er in zwei, drei Jahren so richtig aufblüht.
Alles andere als zurückhaltend haben sich beim Besuch in Tom Litwans Keller übrigens auch die Pinot-Fassproben des Jahrgangs 2020 präsentiert. Vermutlich kommt deren Trotzphase erst noch. Aktuell sind das saubere, elegante Weine, manche etwas würziger und blumiger (fast an Gamay erinnernd), andere von feiner Fruchtigkeit und Mineralik wie der 19er Chalofe. So oder so vielversprechend, was da kommt!
Wer im Glashaus sitzt: Aussicht vom Winter- in den Winzergarten der Domaine Wannaz.
Verwildert.
Verwünscht. Verlassen. Feigen am Wegrand, Palmen an der Hauswand. Das
Gemüsebeet umzingelt von wilden Kräutern und Blumen. Und Reben, natürlich. Der
Blick über den Genfersee zu den Alpen ist atemberaubend. Weit und breit kein
Winzer. Wie weggezaubert. In einem Verschlag, hängen, stehen und liegen Sägen
und Siebe, Sicheln und Sensen. Ein Kupfertopf, in dem Asterix ein Wildschwein
schmoren könnte. Allerlei Krimskrams. Stillleben einer Winzerwerkstatt, eines
Zauberers.
Plötzlich steht er da, Gilles Wannaz. Zack, haben wir ihn im Glas, den Chasselas. Kurze Haare, weisser Dreitagebart, Hornbrille – der Winzer, nicht der Wein. Seit über 30 Jahren wirkt er im Herzen des Lavaux, seit 2003 nach biodynamischer Philosophie. Ein Pionier im Revier. Auch ein Philosoph und Poet. Die Etiketten seiner Weine sind gespickt mit Gedichten und Geschichten.
Gilles Wannaz, Winzer, Gastgeber und Multitalent.
Vor allem
die Chasselas zeigen, warum nicht nur die UNESCO-zertifizierten Weinterrassen
des Lavaux legendär sind, sondern auch die Crus, die darauf wachsen. Hier ist
die heimische weisse Sorte Chasselas die Königin. Auch bei Wannaz, obwohl der
Wahnsinnige auf seinen 4,5 Hektar nicht weniger als 26 Rebsorten kultiviert.
Während sich die klassischen Grand Cru-Chasselas aus St. Saphorin und Epesses
frischfruchtig, subtil und floral geben, zeigt die Landwein-Version «Vin en
vérité» – ebenfalls aus dem heissen 2018 – mehr Muskeln und eine reifere
Frucht. Die Würze ist süss, fast exotisch. Sortentypisch sind sie alle drei.
Ein verwinkeltes Bijou hoch über dem See
Die
Chasselas sind untypisch typisch für Gilles Wannaz. Viele Weine des Wizzards
sind es nämlich nicht. Merlot und Syrah würde man im Lavaux nicht unbedingt
erwarten. Auch deshalb klassifiziert er seine erstklassigen Weine als
vermeintlich einfache «Vin de Pays». Wannaz zelebriert auf der Etikette lieber
seine poetische Ader, als sie mit der prominenten Herkunftsbezeichnung zu
schmücken.
Die
Domaine, ein verwinkeltes, altehrwürdiges Bijou hoch über dem See, gleicht
einem Gesamtkunstwerk: Kritzeleien auf den Weintanks, kunstvolle Kronleuchter
und Antiquitäten, stilsicher arrangiert und dennoch von wilder, chaotischer
Schönheit. Das Pendant zum grünen Paradies vor der Haustüre. Als hätten hier
Jean Tinguely, Harald Nägeli oder Andy Warhol persönlich Hand angelegt.
Hier
tüftelt Wannaz nicht nur an seinen Weinen. Hier kocht er auch für Gruppen bis
zu 80 Personen. Es muss ein Erlebnis sein. Denn hier möchte man Feste feiern,
bis die Sonne über dem Genfersee wieder aufgeht.
Kupferkessel und Krimskrams: Stillleben aus der Küche eines Winzer-Wizzards.
Funfacts – was es sonst noch zu erzählen gibt
Früher hat Gilles Wannaz auch schon
das Bühnenbild für Stephan Eicher gestaltet.
Seine Weine sind «voyages
immobiles». Mit ihnen holt er die Welt an den Genfersee.
Wannaz etikettiert seine Crus meist
als Vin de Pays. Nach AOC-Richtlinien wird nur der Chasselas abgefüllt – «Ich
mag die Tradition, die Kultur, die muss man pflegen. Ein Syrah mit einem Epesses-Etikett
interessiert jedoch niemanden.»
Das sagt Gilles über sich selber: «Ich
koche wie meine Mutter und mache Wein wie mein Vater.»
Er mischt auch schon mal mit Tee aus
Weinblättern mit Wein und raucht dazu getrocknete Weinblätter, liest man
zumindest.
Wannaz arbeitet biodynamisch, ein
verbissener Dogmatiker ist er aber nicht: «Sulfit ist ein natürlicher Bestandteil
des Weins», sagt er und ergänzt lachend: «wenn man radikal gegen Sulfit ist,
ist das auch eine Form von Rassismus. Schwefel kann auch für Spannung sorgen.»
Er sucht die Einfachheit im Wein. Die Freiheit.
Wannaz ist ein Philosoph, auf der Etikette
seines Muscat 2018 steht etwa: «De son île aux sovenirs éoliens bourrasque
décoiffante sur un air lémanique.»
Smoke on the Weinberg: Julien Guillon, Macher des «Electric Water».
Donnerwetter. Dieses «Electric Water» schlägt ein wie ein Blitz. Ein Pinot Noir aus dem Wallis. Himbeerrot und milchig, als wäre er durch einen Gletscher gesickert. Die duftigen Donnerwolken, die in die Nase steigen, sind dunkler und deftiger. Man stelle sich Holunderbeeren vor. Oder Sauerkirsche. Das Himbeerjoghurt schimmert dezent durch die Wolkendecke. Veilchen ebenso. Für Spannung sorgt eine frische Kräuterwürzigkeit, die duftet wie frisch verhageltes Unterholz.
Auch im Gaumen zuerst der Blitz – die vibrierende Säure
– dann donnern Frucht und Würze rein. Im Mund ist der Cru ein Tick
rustikaler. Radikaler. Doch er entwickelt sich zu einem schönen Finale mit frischer
Mineralik und einem etwas stoppligen Tannin-Teppich. Das ist ok – der Wein
ist noch jung. Mit frischen 12 Volumen und dem kräutrigen Charakter ist der
«Electric Water» ein typischer Cool-Climate-Wein.
18 Parzellen, 25 Weine: Ein kleiner Ausschnitt aus dem Lineup von Julien Guillon.
Pardon! Ich bin ungestüm wie ein Wolkenbruch reingeplatzt und
habe Pinot verspritzt – ohne den Winzer vorzustellen. Das wird jetzt
nachgeholt: Der «Electric Water» stammt aus dem Jahr 2018 – und von Julien
Guillon. Dieser stammt aus Genf, wurde im Burgund ausgebildet und hat sich bei
Sion im Unterwallis niedergelassen. Dort macht er seit 2017 Wein. Auf den
Etiketten seiner Crus stehen Sachen wie «méthode agricole de Rudolf Steiner»,
«Vin de Pays Suisse» oder «contient des sulfites naturel».
Zu Deutsch: biodynamischer Rebbau, der Winzer nimmt sich mit
dem Label «Landwein» die grösstmögliche Freiheit – und er setzt keinen
Schwefel zu. Also keine Sulfite. Man merkt: Guillon macht vins naturel.
Gewachsen im Einklang mit der Natur, gekeltert ohne Zusätze. Da könnte man
meinen, dass der Name «Electric Water» eine metaphysische Ebene hat. Denkste!
Es ist viel trivialer: Die Pinot Noir-Reben dieses Weins wachsen bei Ayent neben
einem Elektrizitätswerk. Hier fliessen nicht nur Megawatt sondern auch die
Rhône, einer der wichtigsten Ströme Europas.
Die Reben stehen also doppelt unter Strom. Oder daneben. Gut
so, Spannung ist das Gegenteil von Langeweile. Und so sind auch die Weine von
Julien Guillon. Der elektrische Rebberg ist eine von 18 meist kleinen Parzellen
des bald 37-Jährigen. Eine der tiefsten. Seine höchste Lage liegt bei Fully auf
900 Meter über Meer. Ein privilegierter Fleck mit viel Sonne und kühlen
Nächten.
Hier sind die Reben aber auch den Kräften der Natur ausgesetzt. Zum Beispiel Frost. Oder dem Hagelsturm, der die Reben vor einer Woche heimgesucht hat – kurz vor der Ernte. Das schmerzt. «2019 hat sich schon jetzt in meine Seele eingebrannt», sagt Guillon bevor er wieder in den Rebberg klettert. Dort ist er, der fast alles alleine und in Handarbeit erledigt, viel lieber als an Weinmessen. Trotzdem verkauft er 80 Prozent seiner Crus ins Ausland. Dank Social Media. Vor allem aber dank seiner elektrisierenden Weine.
Biodiversität: Guillon legt grossen Wert auf die Begrünung zwischen den Rebzeilen – beim Nachbar ist der Boden kahl.
Diese Farbe! Mit dem «Ni Blanc Ni Rouge» keltert Guillon einen beachtlichen Rosé aus der Gamaret-Traube.
Im Element: Julien Guillon checkt seine Gamay-Reben oberhalb von Ayent bei Sion.
Schamlos schielt mir die junge Dame in die Jasskarten. Mit eindringlichem Blick und einem sanften Lächeln auf den Lippen – fast wie Da Vincis Mona Lisa. Unverschämt! Zum Glück ist Madame verschwiegen. Ich bin irritiert, zögere. Soll ich tatsächlich Slalom ansagen? Und falls ja: mit welcher Karte beginne ich? Ein Match liegt drin! Die Gute starrt mir immer noch in die Karten. Sie könnte ruhig helfen, anstatt nur stumm rumzustehen.
Ich nehme die Flasche mit der lächelnden Mona Lisa auf dem Etikett und schenke etwas Rotwein nach. Das hilft. «Slalom – wir beginnen mit Undenufe!» Der Wein macht Mut. Ein grandioser Tropfen aus den Bordeaux-Sorten Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc. Aber dieser Cru stammt nicht aus dem Bordelais, sondern aus dem Wallis. Passend zum 1. August hat sich das Wetter in Zermatt soweit heruntergekühlt, dass man guten Gewissens zum kräftigen Roten greifen kann. Krass, wie schlank ein Powerwein trotz 14 Volumen wirken kann. Die Dame ist frisch wie eine Sommernacht in den Bergen. Diese mysteriöse Madame, deren Identität noch gelüftet werden soll.
Label, Labern, Gotteslästerung
Der Wein ist von Marie-Thérèse Chappaz aus Fully. Die Crus
der Walliser Biodynamie-Pionierin werden von Kritikern hochgelobt und von
Liebhabern verehrt. Ihre Strahlkraft leuchtet weit über die Landesgrenzen
hinaus. Die Süssweine von Marie-Thérèse Chappaz sind legendär. Zwei von ihnen
wurden 2018 mit je 99 Parker-Punkten ausgezeichnet – das hat in der Schweiz noch
niemand geschafft.
Ob die Mona Lisa auf dem Weinetikett die junge Marie-Thérèse
zeigt? Aus der Zeit, als sie 1987 mit 17 Jahren die ersten 1,5 Hektar Reben
übernommen hat? Dann würde das Label sozusagen Mona Lisa Chappaz zeigen –
gezeichnet im Stil eines Andy Warhol. Item. Bei einem Wein von Marie-Thérèse
Chappaz so lange übers Label zu reden, grenzt an Gotteslästerung. Da könnte man
ebenso gut übers Jassen lamentieren.
Ich schmetter mein letztes Ass auf den Tisch, gleich neben
dem Glas mit diesem wunderbaren Wein drin – dem «Grain Noir 2017». Die schöne
Balance zwischen Power und Finesse wurde ja schon besungen. Daneben besticht
der tiefdunkle und dicht gewobene Cru mit frischer dunkler Frucht, straffer
Struktur und schöner Kräuterwürzigkeit. Eine Schweizer Assemblage aus Merlot,
Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc ist nicht so oft zu finden – so eine
sowieso nicht.
Es ist der dritte «Grain Noir»-Jahrgang in Folge, der mich
in Ektase versetzt. Noch ein Schluck. Der Match ist im Trockenen. Naja, fast.
Mona Lisa Chappaz muss mitansehen, wie der Triumph in der allerletzten Runde
vereitelt wird. Immerhin habe dabei ich einen der besten Rotweine der Schweiz
im Glas.
Hat 1987 die ersten 1,5 Hektar Reben übernommen – im Alter von 17 Jahren
Ursprünglich wollte Chappaz Hebamme werden
Zunächst musste Chappaz ihre Trauben verkaufen, weil der Keller noch nicht ready war
Erster eigner Jahrgang 1988 – ein Jahr vor der Eröffnung des Kellers über Fully im Lieu-dit La Liaudisaz
Heute bewirtschaftet Chappaz 10 Hektar in Fully, Charrat, Leytron und Chamoson
Die Weine wachsen in einer Höhe von 450 bis 800 Meter über Meer
Internationale Bekanntheit hat Chappaz vor allem dank ihren Süssweinen erlangt
1997 Entschluss zur Biodynamie, ab 2002 biodynamisch, seit 2004 mit dem Demeter-Zertifikat
In der legendären kesselförmigen Steillage Combe d’Enfer wird es im Sommer bis zu 40 Grad heiss
Auszeichnungen: Winzerin des Jahres (Gault Millau 1996), Prix d’excellence (Villa d’Este Wine Symposium 2015), Schweizer Weinikone (Gault Millau 2016), zwei Mal 99/100 Parker-Punkte (2018)
Klatsche statt Kitsch: Der Blanc Nature 2017 von Adrian Hartmann hat Swag, Schwung und Struktur.
Ein Müller aus dem Aargau. Klingt bieder? Dann stelle man sich vor, wie einem dieser Müller voll in die Fresse gibt! Nix bieder, eher Baseballschläger. Schöner Schock. Man ist verblüfft von der Energie dieser Klatsche. Von der Energie, die freigesetzt wird, wenn ein Klischee zersplittert und einem eiskalt ins Gesicht geklatscht wird wie der Bodensatz einer Champagnerschale.
Als möchte man eine Schublade öffnen und es fällt einem ein Schrank auf den Kopf. Ein Kühlschrank voller Weisswein mit ungewöhnlich kupferner Farbe. Das ist der Müller. Auch bekannt als Müller-Thurgau oder Riesling-Sylvaner. Dieses Exemplar müsste allerdings eher Müller-Aargau heissen – die Reben wachsen im Schenkenbergertal bei Aarau – oder Müller-Radau. Denn der Blanc Naturel 2017 von Adrians Weingut wirkt neben seinen Artgenossen wie ein Rowdy – einer mit Baseballschläger.
Unkomplizierte Frucht? Vergiss es! Anspruchsloses Sommer-Weinchen? Denkste! Easy drinking? …wir kommen der Sache schon näher. Dieser Müller ist leicht zu trinken, aber schwer zu verstehen. Seine Leichtigkeit hat der kantige Kerl vor allem seiner Frische zu verdanken, dieser Kräuterwürzigkeit, die an Grüntee oder Brennnessel erinnert. Die angenehm herbe Note zieht sich durch vom ersten Schnuppern bis zum letzten Schluck. Schuld daran ist der Gerbstoff. Bei Rotwein würde man von Tannin sprechen. Aber der Dude hier ist ja weiss. Wo kommen da die Gerbstoffe her?
Die Kupferfarbe lässt es erahnen: wir haben es mit einem Orange Wine zu tun. Ein Weisswein, der wie ein Rotwein gekeltert wurde. Maischevergoren ist das Zauberwort. Der Most wurde nach der Ernte nicht sofort abgepresst, sondern zusammen mit den Traubenhäuten und Kernen, vermutlich auch mit den Stielen, vergoren. In dieser Zeit werden, wie beim Rotwein, Gerbstoffe extrahiert. Deshalb auch die satte Farbe.
Winzer unter sich: Adrian Hartmann (r.) und Andrin Schifferli an den Schweizer Weintagen.
Wer gerne einen Fruchtsalat im Glas hat, duckt sich besser, wenn der Baseballschläger angeflogen kommt. Dezente Anklänge von Mandarine und Orangenschale sind dennoch auszumachen. Das Geile an diesen orangen Dingern: Sie haben die Struktur eines Rotweins. Das macht sie zum guten Essensbegleiter – funktioniert wunderbar zu Spargel-Erdbeer-Risotto. Ausserdem entwickeln sich die Weine mit zunehmender Belüftung, Temperatur und Zeit – meist locker über mehrere Tage. So hat man mehrere Weine in einem: Zunächst ein feingliedriger Jüngling, gekühlt und frisch entkorkt. Später ein stramm strukturierter, kräftiger Kerl mit immer intensiver werdender Aromatik und Farbe.
Zu verdanken haben wir diesen Wein Adrians Weingut. Der Adrian heisst nicht Müller sondern Hartmann. Adrian Hartmann. Er führt das vom Grossvater gegründete Gut seit 2016. Ab der kommenden Ernte tragen seine Crus das Biodynamie-Label Demeter. Die elegante Frische, die Adrians Blanc Naturel hier offenbart, zieht sich übrigens durch sein ganzes Sortiment – schwungvoll wie ein Baseballschläger vor dem Homerun.
Biodynamisches Winzerduo: Antoine Kaufmann (r.) und Lukas Vögele (l.) haben bereits in der Provence zusammen Wein gemacht.
Riders heisst jetzt Twix – und die Aescher Domaine Nussbaumer heisst neu Klus 177. Neu sind zudem auch Eigentümer und Etiketten. Die frisch abgefüllten Weine lassen Schönes erahnen.
Auf dem Aescher Weingut Klus 177 wird viel gemeckert. Dabei hat niemand einen Grund, sich zu beschweren. Lilly, Bubbele und Freddy ist das egal. Die Ziegen ziehen meckernd zwischen den Rebstöcken umher. Mit dem Frühling kommt nicht nur neues Leben in die Reben – auch die Früchte des vergangenen Herbsts feiern ihre Auferstehung. Die meisten Weine des Jahrgangs 2018 wurden soeben abgefüllt. Die Flaschen kommen im neuen Kleid daher. Neues Etikett, vor allem aber: neuer Name und neue Philosophie.
Es ist so
etwas wie der letzte Schritt in der Metamorphose der Domaine Nussbaumer zum
Weingut Klus 177, benannt nach dem Domizil an der Klusstrasse 177. Anfang 2017
haben Antoine und Irene Kaufmann die Domaine übernommen. Zuvor wirkte das Paar
18 Jahre lang auf dem Delinat-Bioweingut Château Duvivier in der Provence
Elegant: Die schraffierten Flächen auf den neuen Etiketten zeigen, auf welchen Parzellen die Trauben des Weins gewachsen sind.
Rebschnitt in der Unterhose
«Es war ein
gutes Gefühl zurückzukommen», sagt Antoine Kaufmann. «Ein solches Weingut in
Stadtnähe zu finden, ist nicht selbstverständlich.» In der Provence hatte der
Winzer ein ganzes Tal für sich allein. «Dort hättest du in Unterhosen die Reben
schneiden können», sagt er mit einem Augenzwinkern.
In der Klus
wäre das nicht so einfach. Oder zumindest nicht so diskret. Die Rebhänge an der
Südflanke des Klusbergs markieren nicht nur den Übergang vom Faltenjura in
Richtung Rheintalgraben – sie sind auch ein beliebtes Naherholungsgebiet.
Mitverantwortlich dafür sind Kurt und Josy Nussbaumer, die das Weingut
inklusive Restaurant ab den 1970er-Jahren weit über die Gemeindegrenzen hinaus
bekanntgemacht haben.
«Kurt Nussbaumer hat vor Kurzem vorbeigeguckt und sich gefreut, dass es vorwärts geht», schildert Antoine Kaufmann. Das Restaurant vis-à-vis gehört nicht mehr zum Weingut, sondern wird als «Locanda Klus» von Nicolas und Rita Dolder betrieben – sie wirkten vorher auf der Domaine. Alles in Bewegung im Karussell namens Klus.
Erstes Demeter-Weingut der Region
Die wichtigste Veränderung hat Kaufmann dort vollzogen, wo es am wichtigsten ist. Nämlich im Rebberg. Die Klus 177 ist das erste Weingut der Region, das nach einer Übergangsphase mit dem Biodynamie-Gütesiegel Demeter zertifiziert sein wird. Dieses geht noch weiter als beim Bioweinbau. Es umfasst neben der Verwendung biodynamischer Präparate auch – verglichen mit dem herkömmlichen Weinbau – den totalen Verzicht auf Herbizide und Insektizide. Dazu kommt der zurückhaltende Einsatz von Schwefeldioxid aka Sulfit – bis zu zehnmal weniger als bei manchen herkömmlichen Weinen.
Nun ist
Sulfit nicht das Teufelszeug, als das es manchmal dargestellt wird. Es dient
zur mikrobiologischen Stabilisierung des Weins. Winzer, die gesunde Trauben in
den Keller bringen und damit umzugehen wissen, können den Einsatz von Schwefel
auf ein Minimum beschränken. Oder darauf verzichten. Das ist manchmal auch eine
Stilfrage.
Von Freaks und vernachlässigten Schulbüchern
Wer den Weg
der Biodynamie einschlägt, weiss, was er macht. Er muss es wissen. Denn man
verabschiedet sich von den meisten Tricks, mit denen ein nicht so gelungener
Wein doch noch zurechtgebogen werden kann. «In den letzten 15 Jahren hat sich
der Weinbau massiv verändert», stellt Kaufmann fest. «Früher waren Biowinzer
Freaks, die ihre Weine nicht immer unter Kontrolle hatten. Das ist schon lange
nicht mehr so.»
Lukas
Vögele, Kaufmanns rechte Hand, erklärt: «Durch das sanfte Pressen der Trauben haben
wir sehr wenig Trub im Most – die ideale Voraussetzung, um den Saft
spontan zu vergären und den Jungwein auf der Hefe auszubauen – gemäss früheren
Schulbüchern wäre sowas gar nicht möglich.» Kaufmann schmunzelt und redet von einem
«kalkulierten Risiko».
Mit der
Umstellung auf Rudolf Steiners biologisch-dynamische Landwirtschafts-Philosophie
ist die Klus 177 vermutlich das biodynamische Weingut, das dem Goetheanum am allernächsten
liegt. Der Dornacher Anthroposophen-Hotspot an der gegenüberliegenden Seite des
Birstals ist manchmal sogar in Sichtweite – je nach Position im Rebberg.
Für das Leben zwischen den Reben bringt die neue Arbeitsweise eine grössere
Biodiversität. Die Monokultur wird durch Büsche und Einsaaten aufgelockert. Es
entsteht neuer Lebensraum für weitere Vogel- und Insektenarten.
Arbeitsplatz mit Aussicht: Von gewissen Stellen aus, ist sogar das Goetheanum in Dornach zu sehen (von hier aus allerdings nicht).
Ungeschminkte Weine
Aufgewachsen
in Biel-Benken, hat Kaufmann nach der Önologie-Ausbildung in Changins (VD) im
Veneto, Australien, Kalifornien und Bordeaux Erfahrungen gesammelt. Seine
Erkenntnisse sind simpel, aber nicht unbedingt einfach umzusetzen: deutliche
Reduktion der Erträge, schonende Verarbeitung und eine langsame, sanfte
Pressung der Trauben. Gefiltert wird erst kurz vor der Abfüllung. So entstehen
ungeschminkte Weine aus gesunden Trauben. Diese wurden im Hitzesommer 2018
besonders früh geerntet, damit die Frische nicht flöten geht.
Nun stehen
sie da, die neuen Weine. Feingliedrig und elegant – das gilt für die Etiketten,
aber auch für die Weine. Der Riesling-Sylvaner und der Le Blanc präsentieren
sich mit knackiger Frucht und Eleganz. Der Pinot Gris kommt cremiger und
vollmundiger daher. Der Rosé ist der ideale Begleiter für kommende
Erdbeer-Orgien. Auf der roten Seite zeigt der Pinot Noir, dass ein heisser
Sommer 2018 nicht zwingend einen wuchtigen Wein ergeben muss – der Cru
oszilliert zwischen feiner Kirschenfrucht und animierender Würzigkeit. Seine
grossen Brüder, der Pinot Noir Réserve und die Assemblage Le Rouge, sind ab
Herbst erhältlich.
Ran an die Flaschen!
Durstig? Wer die neuen Weine der Klus 177 verkosten möchte, hat bald die Möglichkeit dazu in der Markthalle Basel: Zuerst am Basler Wymärt (11. bis 13. April), danach an den Schweizer Weintagen (16. und 17. Mai). Natürlich kann man die Weine auch direkt auf dem Weingut saufen und kaufen. Zum Beispiel am 1. Mai am Tag der offenen Weinkeller.
Dann gibt’s
in «Aesch bigott» auch weitere Produzenten zu entdecken – das beginnt bei
Monika Fanti in der Vorderen Klus, geht weiter mit dem Klushof und endet hinten
im Talkessel auf dem Weingut Tschäpperli, das bereits eine Auszeichnung zum
Baselbieter Staatswein erhalten hat. Die Winzerinnen und Winzer der
Weinbaugenossenschaft Aesch können übrigens in absehbarer Zeit auf ihr
100-jähriges Bestehen anstossen.
Es gibt also keinen Grund, zu meckern. Auch
nicht für das Ziegen-Trio Lilly, Bubbele und Freddy.