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Schamlos schielt mir die junge Dame in die Jasskarten. Mit eindringlichem Blick und einem sanften Lächeln auf den Lippen – fast wie Da Vincis Mona Lisa. Unverschämt! Zum Glück ist Madame verschwiegen. Ich bin irritiert, zögere. Soll ich tatsächlich Slalom ansagen? Und falls ja: mit welcher Karte beginne ich? Ein Match liegt drin! Die Gute starrt mir immer noch in die Karten. Sie könnte ruhig helfen, anstatt nur stumm rumzustehen.

Ich nehme die Flasche mit der lächelnden Mona Lisa auf dem Etikett und schenke etwas Rotwein nach. Das hilft. «Slalom – wir beginnen mit Undenufe!» Der Wein macht Mut. Ein grandioser Tropfen aus den Bordeaux-Sorten Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc. Aber dieser Cru stammt nicht aus dem Bordelais, sondern aus dem Wallis. Passend zum 1. August hat sich das Wetter in Zermatt soweit heruntergekühlt, dass man guten Gewissens zum kräftigen Roten greifen kann. Krass, wie schlank ein Powerwein trotz 14 Volumen wirken kann. Die Dame ist frisch wie eine Sommernacht in den Bergen. Diese mysteriöse Madame, deren Identität noch gelüftet werden soll.

Label, Labern, Gotteslästerung

Der Wein ist von Marie-Thérèse Chappaz aus Fully. Die Crus der Walliser Biodynamie-Pionierin werden von Kritikern hochgelobt und von Liebhabern verehrt. Ihre Strahlkraft leuchtet weit über die Landesgrenzen hinaus. Die Süssweine von Marie-Thérèse Chappaz sind legendär. Zwei von ihnen wurden 2018 mit je 99 Parker-Punkten ausgezeichnet – das hat in der Schweiz noch niemand geschafft.

Ob die Mona Lisa auf dem Weinetikett die junge Marie-Thérèse zeigt? Aus der Zeit, als sie 1987 mit 17 Jahren die ersten 1,5 Hektar Reben übernommen hat? Dann würde das Label sozusagen Mona Lisa Chappaz zeigen – gezeichnet im Stil eines Andy Warhol. Item. Bei einem Wein von Marie-Thérèse Chappaz so lange übers Label zu reden, grenzt an Gotteslästerung. Da könnte man ebenso gut übers Jassen lamentieren.

Ich schmetter mein letztes Ass auf den Tisch, gleich neben dem Glas mit diesem wunderbaren Wein drin – dem «Grain Noir 2017». Die schöne Balance zwischen Power und Finesse wurde ja schon besungen. Daneben besticht der tiefdunkle und dicht gewobene Cru mit frischer dunkler Frucht, straffer Struktur und schöner Kräuterwürzigkeit. Eine Schweizer Assemblage aus Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc ist nicht so oft zu finden – so eine sowieso nicht.

Es ist der dritte «Grain Noir»-Jahrgang in Folge, der mich in Ektase versetzt. Noch ein Schluck. Der Match ist im Trockenen. Naja, fast. Mona Lisa Chappaz muss mitansehen, wie der Triumph in der allerletzten Runde vereitelt wird. Immerhin habe dabei ich einen der besten Rotweine der Schweiz im Glas.

Dieser Artikel wurde erstmals in der bz Basel publiziert.

Supplement: 10 Fakten zu Marie-Thérèse Chappaz

  1. Hat 1987 die ersten 1,5 Hektar Reben übernommen – im Alter von 17 Jahren
  2. Ursprünglich wollte Chappaz Hebamme werden
  3. Zunächst musste Chappaz ihre Trauben verkaufen, weil der Keller noch nicht ready war
  4. Erster eigner Jahrgang 1988 – ein Jahr vor der Eröffnung des Kellers über Fully im Lieu-dit La Liaudisaz
  5. Heute bewirtschaftet Chappaz 10 Hektar in Fully, Charrat, Leytron und Chamoson
  6. Die Weine wachsen in einer Höhe von 450 bis 800 Meter über Meer
  7. Internationale Bekanntheit hat Chappaz vor allem dank ihren Süssweinen erlangt
  8. 1997 Entschluss zur Biodynamie, ab 2002 biodynamisch, seit 2004 mit dem Demeter-Zertifikat
  9. In der legendären kesselförmigen Steillage Combe d’Enfer wird es im Sommer bis zu 40 Grad heiss
  10. Auszeichnungen: Winzerin des Jahres (Gault Millau 1996), Prix d’excellence (Villa d’Este Wine Symposium 2015), Schweizer Weinikone (Gault Millau 2016), zwei Mal 99/100 Parker-Punkte (2018)