Nach 20 Jahren als Punk-, Metal- und Hardcore-Konzertveranstalter beginnt Martin Schrader eine Winzerlehre. Als Basler in Baden. Das war wahnwitzig, mutig – und ein grosses Glück für alle, die seine Weine verkosten. Oder saufen. Wir haben beides gemacht und uns dabei kna(c)kige eineinhalb Stunden vor Live-Publikum in der Kleinbasler Renée Bar über Sachen unterhalten wie…
…das Weinfestival «Badischer Weinbahnhof», den er am 20.11. in Basel organisiert …seinen biodynamischen Schaumwein aus der Dose …seinen superlimitierten, handgemachten «Flimmer»-Wein …wie er das mit mit dem «Fuck AOC» auf seinen Weinetiketten meint …was er mit seinen 4,5 Hektar am Tüllinger Berg vorhat …und warum er nach 2 Dekaden Musikbiz noch einmal ganz von vorne begann
Bei der Sonnenbrand-Session im Ochsen Oltingen geht’s u.a. um Schnaps, Flugabwehr-Kanonen und die Vorzüge von Dachsfleisch.
Diese Folge ist eine Schnapsidee: Im Ochsen Oltingen, am östlichsten Zipfel des Oberbaselbiets, wird ein sagenumwobener Schnaps ausgeschenkt. Ein Burgermeister mit der Aura eines Absinth. Die grüne Fee dahinter heisst Sandra Knecht. Und weil im Ochsen jetzt Saisonstart ist, habe ich sie in Oltingen zum Gespräch getroffen. Zusammen mit Winzer Fredy Löw, der wie Sandra Knecht im nahegelegenen Dorf Buus wohnt und mit dem sie eine ganz besondere Freundschaft pflegt. Gerade auch wegen ihrer Gegensätze.
Sie ist Künstlerin, Köchin und progressive Provokateurin. Er ist Winzer und betreibt eine Rebschule – wie schon sein Vater. Sandra Knecht mag Wein eher mittelmässig. Und wenn, dann am liebsten Naturwein. Sie findet, dass Fredy Löw seine Reben zu viel spritzt. Fredy hingegen betrachtet den chemischen Pflanzenschutz seiner Reben als Notwenigkeit – und die Naturwein-Welle als Hype.
Die gebürtige Zürcher Oberländerin wurde vor acht Jahren im 1000-Seelen-Dorf Buus sesshaft. Fredy Löw immerhin schon vor 44 Jahren (aus Biel-Benken herkommend). Zusammen haben die «Auswärtigen» schon so manche Dorfposse erlebt.
Das aktuellste Theater dreht sich um Sandras Perlhühner, die manchen ein Dorn im Ohr sind. Deshalb möchte Sandra für das Gefieder ein Stück Land ausserhalb des Dorfes kaufen. Ironischerweise ein Rebberg. Vielleicht wird Knecht also sogar noch zur Winzerin – unter Mithilfe von Fredy Löw. Dieser kommt so quasi durchs Hintertürchen doch noch dazu, einen Naturwein zu keltern. Sache git’s!
Erstmals erschienen ist dieser Text am 01. Dezember 2018 in der «Schweiz am Wochenende» (bz Basel). Die Kolumne erscheint künftig alle zwei Wochen.
Wie wird man als Rapper zum Weinfreak? Ganz sicher nicht wegen der Kühlschrank-Munition, die ich bis dato bei Konzerten im Backstage-Kühlschrank vorgefunden habe. Dort stösst man – wenn überhaupt – auf Weine, die man nicht einmal seinem ärgsten Feind zumuten möchte. Auch nicht als Essig im Salat.
Der Wein-Wahnsinn kam schleichend. Als mir das dämmerte, war es zu spät. Es äusserte sich nicht in exzessiven Saufgelagen, sondern indem ich mich plötzlich dabei ertappte, wie ich jeden noch so kleinen Tropfen Weinwissen aufsog. Aus der neuen Passion wurde rasch ein zeitintensives Hobby. Weinkurse, Verkostungen, weitere Kurse. Erste Diplome, Sensorik-Weiterbildung, Mitorganisation einer Weinmesse. Und die wiederkehrende Erkenntnis: Je mehr ich weiss, desto unwissender fühle ich mich, desto neugieriger werde ich.
Diese Gier nach Neuem, kombiniert mit einer Nuance Ehrgeiz und viel Freude, hält das Feuer am Lodern. Beim Wein, und auch in der Welt des Rap.
Es ist diese «Euch werde ich’s zeigen»-Attitüde, die man als hungriger Rookie in sich trägt. Ein Gefühl, das bei meinen ersten Wein-Verkostungen wiedererwacht ist. Auch, weil ich mir in Sneakers und Baseballcap deplatziert vorgekommen bin. Ein Alien, frisch gelandet auf dem Planeten Wein.
Ein Unwissender, der sich plötzlich an die Anfänge seiner Rapkarriere erinnert: Es muss in den frühen 2000er-Jahren gewesen sein, an einem Rapkonzert im Basler Sommercasino, ich stand da im Publikum als Fan, und ich schwörte mir: Eines Tages werde ich auf dieser Bühne stehen! Bei meinen ersten Schritten auf dem Planeten Wein stand ich an einem ähnlichen Punkt.
Aus dem Planeten ist mittlerweile ein Universum geworden. Wein bedeutet Landwirtschaft, sich auch mal die Hände dreckig zu machen. Er vereint Biologie und Geologie im Rebberg mit Alchemie in der Kellerei. Weine sind Flaschengeister, Zeitzeugen und manifestierte Geschichte. Sie sind triviale Fusel und Rauschmittel, aber auch tiefgründige Meisterwerke, die manchem Aficionado Tränen der Rührung in die Augen schiessen lassen.
Wein ist Etikettenschwindel und Projektionsfläche, Statussymbol und Luxusobjekt. Er ist Handwerk und Hedonismus. Gift und Medizin.
Vor allem aber ist Wein für mich, ganz einfach, vergorener Rebensaft – ein landwirtschaftliches Produkt, eine gelungene Mariage zwischen Natur und Kultur. Man kann ihn trinken, muss aber nicht. Ich kann mich tage-, ja nächtelang damit beschäftigen ohne einen einzigen Tropfen Alkohol im Blut.
Was hat das mit mir als Rapper zu tun? Ich hoffe, es ist die Haltung, mit der ich Wein begegne und versuche, diese Erfahrungen weiterzugeben. Ungezwungen und enthusiastisch. Ernsthaft, ohne sich dabei all zu ernst zu nehmen. Dreckig und direkt, zwischendurch auch ein bisschen versnobt. Und hoffentlich immer mit Style und einem Augenzwinkern.
Geiler Wein braucht keinen Hipster-Bart, auch kein Baseball-Cap – er braucht Attitüde.