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Kategorien-Archiv: Kolumne

Wannaz, der Winzer-Wizzard aus dem Lavaux

10 Donnerstag Okt 2019

Posted by Bonvinvant in Chasselas, Kolumne, Waadt

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Biodyn, Biodynamie, biodynamisch, Genfersee, Gilles Wannaz, Lac Leman, Lavaux, Naturwein, vin naturel, Waadt, Wannaz

Wer im Glashaus sitzt: Aussicht vom Winter- in den Winzergarten der Domaine Wannaz.

Verwildert. Verwünscht. Verlassen. Feigen am Wegrand, Palmen an der Hauswand. Das Gemüsebeet umzingelt von wilden Kräutern und Blumen. Und Reben, natürlich. Der Blick über den Genfersee zu den Alpen ist atemberaubend. Weit und breit kein Winzer. Wie weggezaubert. In einem Verschlag, hängen, stehen und liegen Sägen und Siebe, Sicheln und Sensen. Ein Kupfertopf, in dem Asterix ein Wildschwein schmoren könnte. Allerlei Krimskrams. Stillleben einer Winzerwerkstatt, eines Zauberers.

Plötzlich steht er da, Gilles Wannaz. Zack, haben wir ihn im Glas, den Chasselas. Kurze Haare, weisser Dreitagebart, Hornbrille – der Winzer, nicht der Wein. Seit über 30 Jahren wirkt er im Herzen des Lavaux, seit 2003 nach biodynamischer Philosophie. Ein Pionier im Revier. Auch ein Philosoph und Poet. Die Etiketten seiner Weine sind gespickt mit Gedichten und Geschichten.

Gilles Wannaz, Winzer, Gastgeber und Multitalent.

Vor allem die Chasselas zeigen, warum nicht nur die UNESCO-zertifizierten Weinterrassen des Lavaux legendär sind, sondern auch die Crus, die darauf wachsen. Hier ist die heimische weisse Sorte Chasselas die Königin. Auch bei Wannaz, obwohl der Wahnsinnige auf seinen 4,5 Hektar nicht weniger als 26 Rebsorten kultiviert. Während sich die klassischen Grand Cru-Chasselas aus St. Saphorin und Epesses frischfruchtig, subtil und floral geben, zeigt die Landwein-Version «Vin en vérité» – ebenfalls aus dem heissen 2018 – mehr Muskeln und eine reifere Frucht. Die Würze ist süss, fast exotisch. Sortentypisch sind sie alle drei.

Ein verwinkeltes Bijou hoch über dem See

Die Chasselas sind untypisch typisch für Gilles Wannaz. Viele Weine des Wizzards sind es nämlich nicht. Merlot und Syrah würde man im Lavaux nicht unbedingt erwarten. Auch deshalb klassifiziert er seine erstklassigen Weine als vermeintlich einfache «Vin de Pays». Wannaz zelebriert auf der Etikette lieber seine poetische Ader, als sie mit der prominenten Herkunftsbezeichnung zu schmücken.

Die Domaine, ein verwinkeltes, altehrwürdiges Bijou hoch über dem See, gleicht einem Gesamtkunstwerk: Kritzeleien auf den Weintanks, kunstvolle Kronleuchter und Antiquitäten, stilsicher arrangiert und dennoch von wilder, chaotischer Schönheit. Das Pendant zum grünen Paradies vor der Haustüre. Als hätten hier Jean Tinguely, Harald Nägeli oder Andy Warhol persönlich Hand angelegt.

Hier tüftelt Wannaz nicht nur an seinen Weinen. Hier kocht er auch für Gruppen bis zu 80 Personen. Es muss ein Erlebnis sein. Denn hier möchte man Feste feiern, bis die Sonne über dem Genfersee wieder aufgeht.

Kupferkessel und Krimskrams: Stillleben aus der Küche eines Winzer-Wizzards.

Funfacts – was es sonst noch zu erzählen gibt

  • Früher hat Gilles Wannaz auch schon das Bühnenbild für Stephan Eicher gestaltet.
  • Seine Weine sind «voyages immobiles». Mit ihnen holt er die Welt an den Genfersee.
  • Wannaz etikettiert seine Crus meist als Vin de Pays. Nach AOC-Richtlinien wird nur der Chasselas abgefüllt – «Ich mag die Tradition, die Kultur, die muss man pflegen. Ein Syrah mit einem Epesses-Etikett interessiert jedoch niemanden.»
  • Das sagt Gilles über sich selber: «Ich koche wie meine Mutter und mache Wein wie mein Vater.»
  • Er mischt auch schon mal mit Tee aus Weinblättern mit Wein und raucht dazu getrocknete Weinblätter, liest man zumindest.
  • Wannaz arbeitet biodynamisch, ein verbissener Dogmatiker ist er aber nicht: «Sulfit ist ein natürlicher Bestandteil des Weins», sagt er und ergänzt lachend: «wenn man radikal gegen Sulfit ist, ist das auch eine Form von Rassismus. Schwefel kann auch für Spannung sorgen.» Er sucht die Einfachheit im Wein. Die Freiheit.
  • Wannaz ist ein Philosoph, auf der Etikette seines Muscat 2018 steht etwa: «De son île aux sovenirs éoliens bourrasque décoiffante sur un air lémanique.»

Die gekürzte Version dieses Artikels wurde erstmals in der bz Basel publiziert.

Bra, bra, brrrrra! Drei Wein-Tipps für Capital Bra

18 Mittwoch Sept 2019

Posted by Bonvinvant in Kolumne

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Anne-Claire Schott, Berlin, Capital Bra, Moritz Haidle, Pet Nat, Pulvermächer, Rap, Riesling, Sassicaia, Stetten, Stuttgart, Supertoskaner, Supertuscan, Tenuta San Guido, Weingut Karl Haidle

Hinten: Capital Bra, Rapper aus Berlin – vorne: Pulvermächer, der Riesling aus Stuttgart.

Tannine sind das Testosteron des Weins. Je jünger, desto ruppiger. Wenn der Berliner Strassenrapper Capital Bra ein Wein wäre, dann ein junger, wilder roter. Einer mit rabiaten Tanninen, die im Abgang nicht samtweich schnurren, sondern knurren wie ein Strassenköter: Rrra, rrra, rrra. Ein Geräusch aus dem Rap-Vokabular von Capital Bra.

Der 24-Jährige ist zurzeit Deutschlands erfolgreichster Rapper. Er bricht Streaming-Rekorde und ballert Nummer-1-Hits im Wochentakt raus. Der Reiz seiner Musik, finde ich, besteht aus dem Mix aggressiver Beats (sie werden immer poppiger) und einer unterkühlten Outlaw-Attitüde. Und natürlich dieser Singsang-Rap, um den es aktuell kein Herumkommen gibt. Lyrisch wäre dieser Wein kein Meisterwerk.

Namedropping und Statussymbole

Die Verkostungsnotiz eines Capital-Bra-Textes könnte so ausfallen: Starker Gucci-Gestank, daneben der Benzingeruch teurer Autos und Noten von Name-Dropping, etwa von Fussballstars wie Neymar oder Benzema. Auch ein Hauch von Schweizer Luxusuhren ist auszumachen, umgeben vom Dunst illegaler Rauschmittel.

Ob Capital Bra Wein mag? Als Parvenü, der gerne Geld für Statussymbole ausgibt, sollte er offen sein für gewisse Crus. Als Strassensommelier würde ich ihm als Einstieg einen Sassicaia aus der Toskana empfehlen. Das Wein-Pendant zur Luxuskarosse. Der Sassicaia der Tenuta San Guido ist einer der bekanntesten Weine überhaupt. Auf dem Etikett prangt, gut sichtbar, ein grosser goldener Stern auf blauem Grund. Perfekt also, um damit anzugeben.

Der Sassicaia hat die Weinwelt in den 1970er-Jahren etwa so aufgemischt wie Capital Bra heute die deutsche Musiklandschaft. Damals war es ungeheuerlich, dass in der Toskana plötzlich aus den Bordeaux-Sorten Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc ein Spitzenwein von Weltformat gekeltert wird. Ein richtiger Kerl mit viel Testosteron. Also Tannin. Die Power dieses «Super-Toskaners» passt zu den bissigeren Capital-Tracks, während seine samtige Seite gut mit den Pop-Songs des Berliners harmoniert.

Ein Pet Nat vom Bielersee und ein Riesling eines Rappers

Nach diesem Sureshot würde ich den Pet Nat der Bielersee-Winzerin Anne-Claire Schott aufreissen. Nicht nur, weil der Schaumwein so krass nach Rhabarber schmeckt, sondern auch, um dem Kapitän zu zeigen, dass sein Frauenbild noch sehr ausbaufähig ist. Es gibt nicht nur Nutten und Prinzessinnen.

Oder ich würde ihm einen «Pulvermächer»-Riesling verticken. Gekeltert von Moritz Haidle, dem rappenden Winzer aus Stetten bei Stuttgart. Astreiner Stoff mit frischer Zitrusaromatik und feiner weisser Würze, die beweist, dass weisser Wein die bessere Wahl ist als weisses Pulver. Und dazu, Bratan, gibt’s etwas «Tilidin» auf die Ohren.

Dieser Artikel wurde erstmals in der bz Basel publiziert.

Na du Stinker? Verschnupft und verkorkt!

01 Sonntag Sept 2019

Posted by Bonvinvant in Kolumne

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Kork, Korkschmecker, Schnupf, Schnupftabak, TCA, Trichloranisol, Weinfehler, Weinwissen

Wein und Schnupftabak: Diese Mariage passt überhaupt nicht – ausser der Wein hat Kork.

Das Timing des Kellners ist ungünstig. Der Schnupftabak liegt auf den Handrücken bereit. Kichern. Verstohlene Blicke. In einem Hotel mit gratis Hauswein muss nicht alles so formell sein. Ausser die Begutachtung des Weins von der Karte. Der vino di casa wurde links liegen gelassen. Und der Kellner wird ungeduldig.

Die linke Hand mit den verdächtigen Häuflein verschwindet unter dem Tisch. Die andere führt den Kelch zur Nase. Kork! Der Wein ist muffig statt fruchtig und riecht wie nasser Hund auf feuchtem Karton. Unschön. Auch der Abgang: bitter wie das Abschneiden der Schweizer Fussballclubs in der Champions-League-Qualifikation.

Zurück zum Absender! So einfach lässt sich Kork nicht immer entlarven. Oft ist er ein Dieb auf leisen Sohlen. Er beraubt den Wein seiner ursprünglichen Aromatik und ist so sachte unterwegs, dass er manchmal sogar unbemerkt wieder davonkommt. Ein Korkschleicher. Nicht selten haben die Damen der Runde das feinere Näschen, um diese Stinker zu überführen.

So wird wird Kork entlarvt

Aber wie entlarvt man einen kontaminierten Cru? Am auffälligsten ist der modrige Kellergeruch. Manchmal wird auch Schimmel, faulendes Holz oder Leder zitiert. Im Gaumen alarmiert eine beissende Bitterkeit im Abgang die Kork-Polizei. Sortentypische Aromen? Fehlanzeige!

Anders als andere Weinfehler verflüchtig sich der «Zapfen» nicht mit etwas Zeit und Luft. Dafür lässt sich der Stinker durch Erwärmung verdeutlichen. Etwa indem der Wein mit warmem Wasser gestreckt wird. Bei Rotwein kann ein dezenter Fehlton durch Gerbstoffnoten überdeckt werden. Die Grenze zwischen Gut und Böse ist gar nicht so eindeutig. In der Gastronomie wird ein verdächtiger Wein oft ohne Widerrede ersetzt – so auch bei uns. Der Kellner ist immer noch nicht zurück. Also nix wie weg mit dem Schnupf!

Am Ursprung eines Korkschmeckers steht die ungewollte Aktivität von Pilzen. Diese stammen etwa von schimmligen Beeren, unsauberen Gebinden oder chlorhaltigen Mitteln zur Behandlung von Holz. Vor allem Spitzenproduzenten haben viele potenzielle TCA-Quellen bei der Produktion eliminiert – sie investieren viel Geld in die Kontrolle ihrer Korken.

Mit Schiesspulver desinfiziert

Komplett eliminieren lassen sich die Stinker nicht. Ganz fies: Auch Weine mit Drehverschluss können Kork haben, nachdem sie im Keller die falschen Kontakte geknüpft haben. Aber natürlich bietet poröser Naturkork mehr Angriffsfläche. Dabei ist die leichte Durchlässigkeit die Stärke von Kork – sie ermöglicht das minimale Eindringen von Sauerstoff.

Inzwischen ist der Kellner mit der Ersatzflasche eingetroffen. Dummerweise wurde die verkorkte Nase soeben mit Schnupftabak desinfiziert. Suboptimale Bedingungen, um den neuen Wein zu testen. Deshalb folgt ausnahmsweise die Verkostungsnotiz des Schiesspulvers: In der Nase Menthol, schwarzer Pfeffer und erdige Nuancen; im Nastüechli erdige Farben – und mit Tränen im Abgang. Hatschi!

Dieser Artikel wurde erstmals in der bz Basel publiziert.

Julien Guillon – Sein Pinot steht unter Strom

18 Sonntag Aug 2019

Posted by Bonvinvant in Kolumne, Wallis

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ayent, Biodyn, Biodynamie, buitonnaz, Electric Water, Fully, julien guillon, Naturwein, Sion, suisse, Valais, vin, vins libre, vins naturel

Smoke on the Weinberg: Julien Guillon, Macher des «Electric Water».

Donnerwetter. Dieses «Electric Water» schlägt ein wie ein Blitz. Ein Pinot Noir aus dem Wallis. Himbeerrot und milchig, als wäre er durch einen Gletscher gesickert. Die duftigen Donnerwolken, die in die Nase steigen, sind dunkler und deftiger. Man stelle sich Holunderbeeren vor. Oder Sauerkirsche. Das Himbeerjoghurt schimmert dezent durch die Wolkendecke. Veilchen ebenso. Für Spannung sorgt eine frische Kräuterwürzigkeit, die duftet wie frisch verhageltes Unterholz.

Auch im Gaumen zuerst der Blitz – die vibrierende Säure – dann donnern Frucht und Würze rein. Im Mund ist der Cru ein Tick rustikaler. Radikaler. Doch er entwickelt sich zu einem schönen Finale mit frischer Mineralik und einem etwas stoppligen Tannin-Teppich. Das ist ok – der Wein ist noch jung. Mit frischen 12 Volumen und dem kräutrigen Charakter ist der «Electric Water» ein typischer Cool-Climate-Wein.

18 Parzellen, 25 Weine: Ein kleiner Ausschnitt aus dem Lineup von Julien Guillon.

Pardon! Ich bin ungestüm wie ein Wolkenbruch reingeplatzt und habe Pinot verspritzt – ohne den Winzer vorzustellen. Das wird jetzt nachgeholt: Der «Electric Water» stammt aus dem Jahr 2018 – und von Julien Guillon. Dieser stammt aus Genf, wurde im Burgund ausgebildet und hat sich bei Sion im Unterwallis niedergelassen. Dort macht er seit 2017 Wein. Auf den Etiketten seiner Crus stehen Sachen wie «méthode agricole de Rudolf Steiner», «Vin de Pays Suisse» oder «contient des sulfites naturel».

Zu Deutsch: biodynamischer Rebbau, der Winzer nimmt sich mit dem Label «Landwein» die grösstmögliche Freiheit – und er setzt keinen Schwefel zu. Also keine Sulfite. Man merkt: Guillon macht vins naturel. Gewachsen im Einklang mit der Natur, gekeltert ohne Zusätze. Da könnte man meinen, dass der Name «Electric Water» eine metaphysische Ebene hat. Denkste! Es ist viel trivialer: Die Pinot Noir-Reben dieses Weins wachsen bei Ayent neben einem Elektrizitätswerk. Hier fliessen nicht nur Megawatt sondern auch die Rhône, einer der wichtigsten Ströme Europas.

Die Reben stehen also doppelt unter Strom. Oder daneben. Gut so, Spannung ist das Gegenteil von Langeweile. Und so sind auch die Weine von Julien Guillon. Der elektrische Rebberg ist eine von 18 meist kleinen Parzellen des bald 37-Jährigen. Eine der tiefsten. Seine höchste Lage liegt bei Fully auf 900 Meter über Meer. Ein privilegierter Fleck mit viel Sonne und kühlen Nächten.

Hier sind die Reben aber auch den Kräften der Natur ausgesetzt. Zum Beispiel Frost. Oder dem Hagelsturm, der die Reben vor einer Woche heimgesucht hat – kurz vor der Ernte. Das schmerzt. «2019 hat sich schon jetzt in meine Seele eingebrannt», sagt Guillon bevor er wieder in den Rebberg klettert. Dort ist er, der fast alles alleine und in Handarbeit erledigt, viel lieber als an Weinmessen. Trotzdem verkauft er 80 Prozent seiner Crus ins Ausland. Dank Social Media. Vor allem aber dank seiner elektrisierenden Weine.

  • Biodiversität: Guillon legt grossen Wert auf die Begrünung zwischen den Rebzeilen – beim Nachbar ist der Boden kahl.
  • Diese Farbe! Mit dem «Ni Blanc Ni Rouge» keltert Guillon einen beachtlichen Rosé aus der Gamaret-Traube.
  • Im Element: Julien Guillon checkt seine Gamay-Reben oberhalb von Ayent bei Sion.

Dieser Artikel wurde erstmals in der bz Basel publiziert.

Mona Lisa Chappaz – ein Schweizer Trumpf, der immer sticht

07 Mittwoch Aug 2019

Posted by Bonvinvant in Assemblage, Kolumne, Wallis

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Biodyn, Biodynamie, biodynamisch, Cabernet Franc, Chappaz, Grain Noir, Jassen, Marie-Thérèse Chappaz, Merlot, Mona Lisa, Wallis, Zermatt

Schamlos schielt mir die junge Dame in die Jasskarten. Mit eindringlichem Blick und einem sanften Lächeln auf den Lippen – fast wie Da Vincis Mona Lisa. Unverschämt! Zum Glück ist Madame verschwiegen. Ich bin irritiert, zögere. Soll ich tatsächlich Slalom ansagen? Und falls ja: mit welcher Karte beginne ich? Ein Match liegt drin! Die Gute starrt mir immer noch in die Karten. Sie könnte ruhig helfen, anstatt nur stumm rumzustehen.

Ich nehme die Flasche mit der lächelnden Mona Lisa auf dem Etikett und schenke etwas Rotwein nach. Das hilft. «Slalom – wir beginnen mit Undenufe!» Der Wein macht Mut. Ein grandioser Tropfen aus den Bordeaux-Sorten Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc. Aber dieser Cru stammt nicht aus dem Bordelais, sondern aus dem Wallis. Passend zum 1. August hat sich das Wetter in Zermatt soweit heruntergekühlt, dass man guten Gewissens zum kräftigen Roten greifen kann. Krass, wie schlank ein Powerwein trotz 14 Volumen wirken kann. Die Dame ist frisch wie eine Sommernacht in den Bergen. Diese mysteriöse Madame, deren Identität noch gelüftet werden soll.

Label, Labern, Gotteslästerung

Der Wein ist von Marie-Thérèse Chappaz aus Fully. Die Crus der Walliser Biodynamie-Pionierin werden von Kritikern hochgelobt und von Liebhabern verehrt. Ihre Strahlkraft leuchtet weit über die Landesgrenzen hinaus. Die Süssweine von Marie-Thérèse Chappaz sind legendär. Zwei von ihnen wurden 2018 mit je 99 Parker-Punkten ausgezeichnet – das hat in der Schweiz noch niemand geschafft.

Ob die Mona Lisa auf dem Weinetikett die junge Marie-Thérèse zeigt? Aus der Zeit, als sie 1987 mit 17 Jahren die ersten 1,5 Hektar Reben übernommen hat? Dann würde das Label sozusagen Mona Lisa Chappaz zeigen – gezeichnet im Stil eines Andy Warhol. Item. Bei einem Wein von Marie-Thérèse Chappaz so lange übers Label zu reden, grenzt an Gotteslästerung. Da könnte man ebenso gut übers Jassen lamentieren.

Ich schmetter mein letztes Ass auf den Tisch, gleich neben dem Glas mit diesem wunderbaren Wein drin – dem «Grain Noir 2017». Die schöne Balance zwischen Power und Finesse wurde ja schon besungen. Daneben besticht der tiefdunkle und dicht gewobene Cru mit frischer dunkler Frucht, straffer Struktur und schöner Kräuterwürzigkeit. Eine Schweizer Assemblage aus Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc ist nicht so oft zu finden – so eine sowieso nicht.

Es ist der dritte «Grain Noir»-Jahrgang in Folge, der mich in Ektase versetzt. Noch ein Schluck. Der Match ist im Trockenen. Naja, fast. Mona Lisa Chappaz muss mitansehen, wie der Triumph in der allerletzten Runde vereitelt wird. Immerhin habe dabei ich einen der besten Rotweine der Schweiz im Glas.

Dieser Artikel wurde erstmals in der bz Basel publiziert.

Supplement: 10 Fakten zu Marie-Thérèse Chappaz

  1. Hat 1987 die ersten 1,5 Hektar Reben übernommen – im Alter von 17 Jahren
  2. Ursprünglich wollte Chappaz Hebamme werden
  3. Zunächst musste Chappaz ihre Trauben verkaufen, weil der Keller noch nicht ready war
  4. Erster eigner Jahrgang 1988 – ein Jahr vor der Eröffnung des Kellers über Fully im Lieu-dit La Liaudisaz
  5. Heute bewirtschaftet Chappaz 10 Hektar in Fully, Charrat, Leytron und Chamoson
  6. Die Weine wachsen in einer Höhe von 450 bis 800 Meter über Meer
  7. Internationale Bekanntheit hat Chappaz vor allem dank ihren Süssweinen erlangt
  8. 1997 Entschluss zur Biodynamie, ab 2002 biodynamisch, seit 2004 mit dem Demeter-Zertifikat
  9. In der legendären kesselförmigen Steillage Combe d’Enfer wird es im Sommer bis zu 40 Grad heiss
  10. Auszeichnungen: Winzerin des Jahres (Gault Millau 1996), Prix d’excellence (Villa d’Este Wine Symposium 2015), Schweizer Weinikone (Gault Millau 2016), zwei Mal 99/100 Parker-Punkte (2018)

Arianna Occhipinti – Königin der Landstrasse

23 Dienstag Jul 2019

Posted by Bonvinvant in Italien, Kolumne

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Arianna Occhipinti, COS, Frappato, Giusto Occhipinti, Grotta Palazzese, Italien, Polignano a Mare, Sizilien, SP68, Vittoria

Hier lebt es sich gut für einen Höhlenmenschen. Die Tischdecken leuchten weiss wie die Kalksteinfelsen über uns. Schwalben fliegen flink aus dem Gewölbe und ziehen ihre Kreise, als wollten sie sich der atemberaubenden Aussicht vergewissern. Ein Kreislauf zwischen Himmel und Höhle. Das Gewölbe wenige Meter über der Brandung hat das Restaurant «Grotta Palazzese» an der süditalienischen Adriaküste weltbekannt gemacht. Das Meer leuchtet azurblau. Aber ich sehe rot, habe nur Augen für den Wein.

«Ein toller Wein!» Die Augen des Kellners funkeln während er die Flasche entkorkt. War das ein Kompliment? Eine nett gemeinte Floskel? Sein verschwörerischer Blick lässt Raum für Interpretationen. Im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten! Das macht uns zu Komplizen. Zu Verbündeten im Fanclub der sizilianischen Winzerin Arianna Occhipinti und ihrer Weine.

Wir sind zwar in Apulien, aber trinken Sizilien. Im Glas glitzert ihr SP68 Rosso. Die Assemblage aus 70% Nero d’Avola und 30% Frappato hat Occhipinti nach jener Landstrasse im Süden der Insel benannt, an der ihre Weinberge liegen.

SP68 – ein Symbol aus Asphalt

Eigentlich lustig, dass eine naturverbundene Winzerin wie Occhipinti ihren Wein nach einer Strasse benennt und beschildert. Aber es passt. Nicht, weil Occhipinti sich um ihre Street Credibility kümmern müsste, sondern weil die Strada Provinciale 68 als asphaltiertes Symbol ihrer Karriere gesehen werden kann.

Die Strasse führt zum Weingut COS ihres Onkels Giusto Occhipinti, der Arianna als Teenager mit dem Weinvirus infiziert hat. Und als junge Winzerin war sie später mitverantwortlich dafür, dass aus dem Geflecht an Landstrassen rund um die SP68 eine Strada del Vino wurde – mit Wegweisern zu den Winzern und weniger illegalen Mülldeponien.

Ob das der Kellner mit den funkelnden Augen auch weiss? Die Aromen des Weins, den er soeben kredenzt hat, würden ihm jedenfalls eine andere Geschichte erzählen. Von heissen Tagen und kühlen Nächten in den Weinbergen. Von knorrigen Buschreben. Und von lokalen Sorten, die im Glas zu einer eleganten und würzigen Kreszenz zusammenfinden. Nur 12,5 Volumenprozent! Schon krass, wie frisch ein Rotwein sein kann, der fast auf dem gleichen Breitengrad zuhause ist wie die Einwohner von Tunis.

Frischer Frappato fürs Herz

Der SP68 ist Occhipintis Wein der Strasse. Ihr Wein des Herzens ist aber der Frappato. Die sizilianische Rarität bringt in den Augen der Winzerin den Charakter ihrer Heimat – und auch ihren eigenen – am besten auf den Punkt. Frappato punktet mit frischer Eleganz, einer sanften Würzigkeit, und einer Kaskade an roten Fruchtaromen. Rote Johannisbeeren zum Beispiel. Oder frisch gepflückte Erdbeere.

Manchmal fühlt man sich auch an ungesüsstes Erdbeer-Frappé erinnert. Muss wohl am Namen liegen. Und weil man den feingliedrigen Wein auch leicht gekühlt trinken kann – zuhause im Garten oder in einer Höhle am Meer.

Dieser Artikel wurde erstmals in der bz Basel publiziert.

Sali Souvenir – eine Betriebsanleitung für Ferienwein

08 Montag Jul 2019

Posted by Bonvinvant in Kolumne

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Ferien, Ferienwein, Raisin, Tipps, Wein Plus, Wine Searcher

Das Meer leuchtet in der Abendsonne wie flüssiges Gold. Der Sand kitzelt zwischen den Zehen. Im Eiskübel eine Flasche Weisswein, vor sich her dümpelnd wie die Fischerboote im Hafen.

Alle Sorgen weit weg, die Lieben ganz nah. Die einzigen Fragen, die man sich stellen muss, sind: Wo gehen wir essen? Und: Welchen Wein trinken wir? Natürlich etwas Lokales. Irgendwas Weisses, das zu den mediterranen Köstlichkeiten im Teller passt. Gesagt, getan. Alles perfekt.

Naja. Zumindest damals in Korsika. Als vinophiler Grünschnabel hatte ich sofort eine Buddel dieses Ferienweins klargemacht und zwischen sandigen Socken und salzigen Strandtüchern im Koffer verstaut. Als ich ihn später zu Hause entkorkt habe, war der feine Flaschengeist allerdings längst ausgeflogen. Die Frische, die Frucht – alles weg. Ein muffiger Feriengruss. Heute, bisschen erfahrener, kann ich dazu nur sagen: Gnadenlos in die Ferienfalle getappt! Folgende Klippen gilt es nämlich bei der Jagd nach Flaschenpost zu umschiffen:

Tauche nach Perlen: In Touristenorten scheinen viele Bar- und Restaurantbetreiber nicht viel Energie in ihre Weinauswahl zu investieren – es läuft ja auch so ganz gut. Der anspruchsvolle Geniesser checkt deshalb vorgängig, wo die guten Weine zu finden sind. Mit der App «Raisin» lassen sich nicht nur ausgewählte Bars und Restaurants entdecken, sondern auch Händler und
Winzer.

Sei neugierig und wählerisch: Wer sich von Präferenzen leiten lässt, minimiert zwar das Risiko einer Enttäuschung, entdeckt aber auch nichts Neues. Regionale Rebsorten und lokale Macharten haben ihren ganz besonderen Reiz. Neugierige verkosten sich deshalb am besten einmal quer durch das Angebot an Offenwein.

Spar Dir den Transport: Dank Portalen wie wein-plus.eu oder wine-searcher.com lässt sich im Handumdrehen feststellen, ob es den Ferienwein auch beim Händler zu Hause gibt. Ausserdem bieten die Websites eine Flut an Weintipps zu vielen Ferienregionen.

Zisch weg das Zeug: Frische Sommerweine sind am besten rasch zu geniessen. Sonst wird daraus eine Kellerleiche, die nach Jahren der Vergessenheit jegliche Vitalität verloren hat – so wie bei meinem Ferienfiasko aus Korsika.

Ein Ferienwein ist ein Ferienwein, zu Hause kann er das nicht sein: Ein Genusserlebnis, zu dem auch das Ambiente gehört, das Essen, das Gefühl von Freiheit und Sorglosigkeit. So ein Erlebnis lässt sich nicht einfach rekonstruieren. Aber man kann es ja zumindest versuchen.

Dieser Artikel wurde erstmals in der bz Basel publiziert.

Die Dreiländerbrücke führt ins Burgund

23 Sonntag Jun 2019

Posted by Bonvinvant in Burgund, Dreiland, Kolumne

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Burgund, Côte de Beaune, Clos du Moulin aux Moines, Dreiland, Dreiländereck, Klybeckquai, La Huninguoise, Naturwein, Pinot Noir, ungeschwefelt, vin naturel

Unkompliziert mit Würze und Pfiff: Der Moulin aux Moines Pinot Noir XVII.

Basel ist eine Weinbastion. Wir leben im Herzen einer grossen Weinregion, in der einige der besten Crus überhaupt wachsen. Die Ansage ist prollmundig wie ein Primitivo – aber ich stehe dazu. Wer die Schweizer Brille in die Ecke donnert und die Flughöhe nach oben schraubt merkt: Basel liegt zwar am Rand der Schweiz und hat mengenmässig nix zu melden in der Weinwelt – vom internationalen Weinhimmel aus betrachtet liegt das Rheinknie aber im Zentrum dreier Regionen, deren Topgewächse es mit fast jedem Spitzenwein dieser Welt aufnehmen können.

It’s the Dreiländereck! Wer nach Norden guckt, sieht links das Elsass mit den Vogesen und rechts die Reben des Weiler Schlipf, südlichste Lage in Baden. In beiden Regionen (Elsass und Baden) wachsen je etwa gleich viel Hektar Reben wie in der ganzen Schweiz. Bei diesem grenzenlosen Weitblick könnte man auch gleich die ganze Schweiz ins Dreiland-Panorama integrieren. Ich schweife ab – zu viel Aufwind, zu grosse Flughöhe.

Von Huningue direkt ins Burgund

Nix wie runter auf den Boden der Tatsachen. Wir landen am westlichen Ende der Dreiländerbrücke, gegenüber des Weiler Rheincenters und des Basler Rheinhafens. Willkommen in Huningue. Genauer: Im «La Huninguoise», einer Weinbar mit einer wunderbaren Karte voller französischer Kreszenzen. Hier kann jeder seine eigene Tour de France zelebrieren. On y va! Ich sprinte direkt ins Burgund zu den Weinen von Clos du Moulin aux Moines – die Burgunder Winzerin ist persönlich vor Ort.

Ihre weissen Crus aus Chardonnay bringen die gewünschte Frische an diesem heissen Sommerabend. Trotzdem wechselt die Weinampel auf rot. Ob das gut kommt bei dieser Hitze? Und wie! Der Wein bringt nämlich nur zarte 12 Volumenprozent auf die Waage und trumpft mit frischfröhlichen roten Fruchtaromen auf, dazu auch etwas Menthol und Zedernholz.

Ein Querschläger ohne zugesetzten Schwefel

Krass! Schliesslich haben wir es hier mit dem Einstiegswein, der Basis, zu tun: dem Pinot Noir XVII. Ausgebaut im Stahltank und ohne Zusatz von Schwefel. Beides ist einigermassen ungewöhnlich für einen Burgunder. Vermutlich deklarieren die Macher den Wein auch deshalb als Vin de France, das ist die ‹einfachste’ Klassifizierung in Frankreich – dabei wachsen die Rebstöcke dieses Vin Naturel an der legendären Côte de Beaune.

Der Wein ist ein Querschläger. Manche Rote, denen kein Schwefel (Sulfit) zugesetzt wurde, präsentieren sich zunächst rustikal und von dezenter Frucht. Der hier nicht! Ein unkompliziertes Kerlchen mit Würze und Pfiff, das auch leicht gekühlt weggezischt werden kann. Kostet zum Mitnehmen 16 Euro – das «Huninguoise» ist nämlich auch ein Take Away.

Ab in den Rucksack mit der Pulle und zurück über die Brück’ via Weil ans Kleinbasler Rheinufer. Am Klybeckquai gibt’s noch die letzten Sonnenstrahlen zu erwischen. Dazu die letzten Tropfen dieses roten Sommerweins, der wunderbaren Trophäe dieser kompakten Dreiland-Spritztour. Praktisch, im Herzen dieser drei Regionen zu leben.

Dieser Artikel wurde erstmals in der bz Basel publiziert.

Der Apfel fällt nicht weit vom Rebstock

21 Dienstag Mai 2019

Posted by Bonvinvant in Kolumne, Schaffhausen

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Benjamin Oswald, Cidre, Klettgau, Markus Ruch, Oswald + Ruch, Pinot Noir, Rheinriesling, Riesling, Schaffhausen

Sag Riiiesling: Der Rheinriesling von Markus Ruch kann sich auch ennet der Grenze sehen lassen. Im Hintergrund grünt ein Cidre-Baum.

Dieser Riesling! Frisch und vibrierend wie ein Bergsee. Man würde sich am liebsten reinlegen. Der See müsste irgendwo in Deutschland oder Österreich liegen – bei den Königen des Rieslings. Aber der hier stammt aus der Schweiz! Seine Hood heisst Klettgau bei Schaffhausen. Und der See ist ein Bergbach – der Rhein.

Eingeklemmt zwischen dem Rheinfall und der deutschen Grenze wachsen die Reben von Markus Ruch. Einen Namen gemacht hat sich der Winzer vor allem mit seinen unverschämt guten Pinot Noir. Das Potenzial dieser Rebsorte, im Zusammenspiel mit den kalkhaltigen Lehmböden des Klettgau, hat Ruch 2007 dazu bewogen, sich nach seinen Wanderjahren im «Blauburgunderland» niederzulassen.

Scharf wie Rasierklingen

Ruch ist einer der wenigen Schweizer Riesling-Winzer. Und mit diesem Exemplar kann er den Königen jenseits der Grenze durchaus die Krone streitig machen. Weil in der Schweiz bei der Sorte aber viele immer noch an Riesling-Silvaner denken, betitelt Ruch seinen Cru wohlweislich als Rheinriesling. Riesling-Silvaner hat nämlich nix mit Riesling zu tun. Darum nennt man dieses Irrwesen heute oft Müller-Thurgau.

Einen solchen hat Ruch ebenfalls im Sortiment – ausgebaut in der Ton-Amphore. Vorerst beschäftigen wir uns aber mit seinem Riesling. Dieser zeigt sich von einer frischen, zitrusfruchtigen Seite. Plus Kräuterwürze und Mineralik. Die Säure schneidet besser als meine Rasierklingen. Vitales Kerlchen. Und knackig: Auch etwas Granny Smith ist auszumachen. Die Apfel-Assoziation ist oft typisch für Riesling. Ich verwende sie hier aber vor allem als perfekte Überleitung zu Ruchs neustem Projekt – der Mosterei Oswald + Ruch.

Look at the Lineup: Links die Pinots, rechts die Cidres – und dazwischen der Riesling.

Zusammen mit seinem Freund Benjamin Oswald hat Ruch vor zwei Jahren damit begonnen, aus den Früchten vernachlässigter Apfel- und Birnenbäume prickelnde Obstweine mit wenig Alkohol zu keltern. Cidre! Als Winzer in «Mostindien» liegt das auf der Hand. Mit ihrem Engagement unterstützt das Duo nicht nur das Überleben rarer alter Hochstamm-Sorten – sie engagieren sich auch für die Biodiversität. Denn Monokultur ist Gift für die Artenvielfalt. Ein Aspekt, der beim Weinbau viel zu oft ignoriert wird. Nicht aber bei Oswald und Ruch. Dank erfolgreicher Crowdfunding-Aktion können sie ihr Start-up nun vorantreiben. Mit seiner Diversifizierung verringert Ruch auch das Klumpenrisiko, das man als Winzer mit sich trägt – etwa bei Spätfrost oder Hagel, die innert Stunden einen ganzen Jahrgang killen können.

Ob Riesling, Cidre oder Amphore – für Ruchs Pinots habe ich am meisten Amore. Es sind die Blauburgunder, die mich regelmässig niederknien lassen. Mein Erweckungserlebnis hat mir ein 2014er aus der Hallauer Haalde beschert. Nachdem ich den geöffneten Pinot Noir vier Monate im Kühlschrank vergessen hatte, präsentierte sich dieser danach im Glas immer noch mit einer sagenhaften Strahlkraft. Das hat mich mindestens so verblüfft wie die Fliege, die mit ins Glas geflutscht ist – so ist das mit der Biodiversität.

Neuanfang im Schlipf – Silas Weiss im Weingut Riehen

15 Mittwoch Mai 2019

Posted by Bonvinvant in Basel-Stadt, Kolumne

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Schlagwörter

Hanspeter Ziereisen, Jost & Ziereisen, Riehen, Schlipf, Silas Weiss, Thomas Jost, Ullrich, Weingut Riehen, Ziereisen

Noch sind sie nackt, die Flaschen, die im Weingut Riehen auf dem Kellerboden stehen. Aufgereiht wie Mini-Soldaten. «Wir sind bisher nicht zum Etikettieren gekommen.» Silas Weiss nimmt es gelassen. Denn das Wichtigste ist: Die Trauben sind schon lange im Trockenen. Sie schlummern im Fass und erinnern gelegentlich mit einem blubbernden Geräusch daran, dass hier Wein entsteht – als würden sie durch den Gärfilter rülpsen. Draussen, auf den 3,5 Hektar umfassenden Rebbergen im Schlipf oberhalb des Riehener Naturbads, recken die Trauben ihre jungen Triebe dem Himmel entgegen.

Im vergangenen Herbst war es auf dem Weingut hektischer. Nicht nur wegen der stets sehr lebhaften Erntezeit, sondern auch wegen des überraschenden Weggangs von Thomas Jost. Der junge Winzer hatte das Weingut Riehen Anfang 2014 als 26-Jähriger übernommen und es zusammen mit Hanspeter Ziereisen innerhalb weniger Jahre in die Topliga der Schweizer Weinproduzenten katapultiert. Im Mai 2018 entschied sich Jost, das Weingut, zu dessen Erfolg er massgeblich beigetragen hatte, zwecks Neuorientierung zu verlassen.

Vorne: Reben im Riehener Schlipf. Hinten: Häuser in Deutschland.

Bis Silas Weiss ins Spiel kommt, vergehen noch einige Monate. Während der Ernte konnte sich der 23-Jährige kurz als Helfer warmlaufen – eingewechselt als neuer Betriebsleiter wurde er aber erst Anfang 2019. Davor hat Hanspeter Ziereisen – einer der bekanntesten Winzer Deutschlands – mit seinem Team für die Reben und die Verarbeitung der Ernte gesorgt.

Notabene während sich der Markgräfler gleichzeitig um sein eigenes, wesentlich grösseres Weingut im nahen Efringen-Kirchen (D) kümmert. Kein Wunder, blieben da alle nicht so drängenden Arbeiten liegen. Zum Beispiel das Anbringen von Etiketten. Auf diesen wird nun «Weingut Riehen» stehen – anstatt wie bisher «Jost & Ziereisen».

Gern im Grünen: Silas Kawika Weiss – der mittlere Name bedeutet «David» – und ist eine Referenz an Davids Geburtsort Hawaii.

«Während der Ernte hat Hanspeter bis um vier Uhr nachts Trauben verarbeitet», erinnert sich Weiss an seine ersten Tage auf dem Weingut. Zu diesem Zeitpunkt war er noch in der Weinhandlung von Jacqueline und Urs Ullrich tätig. Die beiden sind im Sommer 2018 neben Ziereisen als Co-Investoren beim Weingut Riehen eingestiegen. So wurde aus einem der grössten Schweizer Weinhändler plötzlich auch ein Weinproduzent. Und Silas Weiss konnte nach zwei Jahren im Verkauf wieder in seinen erlernten und ersehnten Beruf als Winzer zurückkehren.

«Ich hatte auch andere Möglichkeiten», sagt Weiss, «aber ich wollte in Basel bleiben – hier habe ich viele Freunde.» So wurde er zu einem der ganz wenigen Winzer auf stadtbasler Boden. Aufgewachsen am Neuenburgersee, absolvierte Weiss seine Winzerausbildung in der Westschweiz und auf dem Zürcher Höngg. Danach folgte ein halbes Jahr auf einem Weingut im kalifornischen Napa Valley.

Erfrorene Triebe: Der Frost führte auch in Riehen zu Schäden – zum Glück nur zu kleineren.

Und nun pendelt Silas Weiss zwischen Riehen und Efringen-Kirchen. «Bei Ziereisens fühlt es sich an wie in einer grossen Familie», findet der 23-Jährige. Er ist dankbar um sein grenzüberschreitendes Engagement – das kleine Weingut in Riehen und der Familienbetrieb im Markgräflerland ergänzen sich gut. Ausserdem gibt es beim erfahrenen Ziereisen viel zu lernen. «Ich ticke ähnlich wie Hanspeter – wir packen gerne an, anstatt lange zu lamentieren», sagt der junge Winzer. Und da bei der Weinwerdung im Keller nur so wenig wie möglich eingegriffen wird, bleibt mehr Zeit für die Arbeit in der Natur.

Teil der Philosophie

Bis Silas Weiss die Früchte seiner Arbeit kredenzen kann, dauert es allerdings noch etwas – die Crus des Weinguts Riehen kommen jeweils nach rund zwei Jahren in den Verkauf. So haben die Weine genug Zeit, um sich zu entwickeln und zu harmonisieren. Auch das ist Teil der Philosophie. Aktuell kümmert sich Weiss sozusagen um seine Stiefkinder. Er ist glücklich mit ihnen – das merkt man beim gemeinsamen Verkosten.

Als nächstes kommt der Jahrgang 2016 in Umlauf. Ein erstes Mal probiert werden können die Gewächse morgen Donnerstag und am Freitag an den Schweizer Weintagen in der Markthalle Basel. Vielleicht wurden die Flaschen bis dahin ja mit ihren Etiketten eingekleidet.

Dieser Artikel wurde erstmals in der bz Basel publiziert.

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