Eines von vielen Highlights 2019: Der Genèse Blanc 2004 von Xavier Caillard.
Jahresrückblick – kurz und knackig. Ich habe im vergangenen Jahr sehr viele vibrierende und inspirierende Weine verkostet, genossen und gesoffen. Die meisten davon ohne dabei Notizen zu machen. Der Wein, die Leute und das Ambiente standen in diesem Augenblick im Zentrum.
Die folgende Auflistung beschränkt sich deshalb auf jene Weine, die ich systematisch verkostet habe – inklusiv Degunotizen. Es sind die Top 10. Diverse Weine waren allerdings auf Augenhöhe. Deshalb sind es 18. Die Reihenfolge ist alphabetisch. Prost!
Feuchter Waldboden, Unterholz, auch etwas Moos… das ist nicht die Beschreibung des Weines, der hier kredenzt wird – sondern das feuchtfröhliche Bouquet meines Sitzleders nach diesem Foto-Shooting im Morgentau. Falls das jemanden Interessiert. Heutzutage findet man ja für sämtliche Sauereien Aficionados.
Sogar für Wein! Natürlich möchte ich niemandem die Verkostungsnotiz zum Inhalt meines Glases nicht vorenthalten. Nachdem sich der Nebel verzogen hat, konnte ich am Glasboden eine äusserst dunkle, leicht trübe, Rubinrote Essenz ausmachen. Und das, obwohl ich meine Brille aus Eitelkeit hinter dem Rebstock versteckt habe. Trüb ist der Wein wohl, weil dieser biodynamische Wein unfiltriert abgefüllt worden ist. Die Rede ist übrigens vom Saint-Joseph Châtelet 2015 der Domaine Perréol – ein Syrah von der nördlichen Rhône. Aber nicht so nördlich, dass es ein Schweizer wäre.
Im Bouquet sehr balsamisch, elegant und dicht mit Noten von Eukalyptus, Zedernholz, auch frisches Unterholz (nicht Unterhose), dazu schwarze Johannisbeeren bzw. Lakritz und eine schöne sortentypische Pfeffernote, auch etwas Veilchen.
Im Gaumen gibt sich der Cru ebenso balsamisch wie in der Nase (yes!). Straff und sehr dicht. Die Frucht ist elegant und eher im Hintergrund. Im Gegensatz zur vitalen Säure, die sich ebenso wenig zurückhält, wie die noch etwas ruppigen Gerbstoffe, die sich lang hinziehen im Finish. Das wird sicher noch geschmeidiger… ist schliesslich noch ein (fast zu) junger Wein.
Fazit: Ein geerdeter Wein, straff, gut strukturiert, trotz seiner Dichte mit nicht all zu viel Speck auf dem Knochen und dem nötigen Schuss Pfeffer – also so, wie sich auch mein Arsch präsentieren sollte.
Schon wieder ein Lemberger aka Blaufränkisch. Schon wieder Württemberg. Ist einfach so passiert. Die rote Wachskappe dieser Einzelflasche ist mir am Wochenende beim Aufräumen des Weinkellers ins Auge gesprungen. Und der Flascheninhalt ins Maul. So schnell kann’s gehen – schon nach dem ersten Schluck war klar, dass ich keinen Widerstand leisten werde.
Dichtes, dunkles Rubinrot; intensives, erdiges Bouquet mit Noten von nassem Herbstlaub, Waldboden, Tabak und Milchschokolade, dahinter reife Sauerkirsche, Brombeere und v.a. schwarze Johannisbeere (Grethers Pastillen) sowie Lakritz, dazu sehr würzig (ich denke an Nelke und Muskatnuss), ätherische Nuancen (Tannennadeln und Zedernholz…ich liebe Zedern). Im Gaumen sehr weich im Auftakt, frische saftige Säure, viel Schmelz, schöne dichte reife Frucht…wieder Lakritz, Bitterschokolade. Erinnert an einen wunderbar gereiften Merlot, näher an Bordeaux als am Tessin. Butterweiche, langanhaltende Tannine. Ganz tolle Balance zwischen Struktur und Frucht.
So ein geiler Wein – einem Überbleibsel aus VINUM-Tagen – auf den ich zunächst gar keinen Bock hatte. Und auch keine Erwartungen. Zum Glück habe ich diesen Flaschengeist zum Leben erweckt.
«Tête Rouge» – kein Wunder, kann ich mich als notorische Rothaut mit den Crus dieses Loire-Weinguts so gut identifizieren. Dieser Cabernet Franc ist für mich der Inbegriff eines balsamischen Weines. Herrlich frische Aromen nach Zedernholz und Tannennadeln, ja fast schon Harz. Auch erdige Noten sind auszumachen. Die Frucht ist dunkel und dezent. Im Gaumen saftig und mit einer animierenden Würzigkeit. Tolle Struktur, mineralisch und elegant mit nur 13,5 Vol.-%. Der Wein gewinnt extrem an der Luft.
Der «Enchentoir» stammt aus der gleichnamigen Lage, welche auch einen hervorragenden Chenin Blanc hervorbringt (einer meiner allerliebsten Weissen). Der rote Vertreter stammtvon 60-jährigen, biodynamisch kultivierten Rebstöcken. Den Wein gibt’s in einer Kleinauflage von 2400 Flaschen pro Jahr.
Cabernet Franc von der Loire – so macht das definitiv Lust auf mehr.
So schnell wird man von der Aktualität überrollt: Letzte Woche versuchte ich in den Bergen meinen Beitrag zur legendären Walliser Winzerin Marie-Thérèse Chappaz zu beenden. Dann kam die Basler Fasnacht dazwischen. Inzwischen wurden zwei von Chappaz’ Weinen im Robert Parker Wine Advocate mit 99 von 100 Punkten beurteilt – nahe der Perfektion. Das gab’s noch nie für Schweizer Crus. Chapeau Chappaz!
Ausgezeichnet vom Parker-Punkter Stephan Reinhardt wurde die Grande Dame des Schweizer Weins für die Süssweine «Petite Arvine Grain par Grain 2014» und den «Ermitage Octobre 240° Oe 2006». Hier geht’s nun aber um eine rote Cuvée aus den Bordeaux-Sorten Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc – auch das gibt’s in der Schweiz nicht alle Tage. Vor allem nicht dermassen gut.
Viele Weine, so sagt man, sind wie ihre Macher. Klingt zunächst gut, dann ausgelutscht…und irgendwann dann halt doch wieder gut. Zumindest in gewissen Fällen, in denen diese Feststellung einfach passt.
Nun, ich weiss nicht, ob Marie-Thérèse Chappaz, nach Cassis, Zedernholz, Paprika und Pfeffer duftet wie ihr «Grain Noir 2015». Ich weiss aber, dass die Walliser Winzerin auf eine ganz subtile Weise Kraft und Eleganz ausstrahlt… so wie dies auch ihr Grain Noir tut.
Marie-Thérese Chappaz am «Villa d’Este Wine Symposium» 2015.
Gewiss, die Grain-Noir-Assemblage aus Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc ist fast noch zu jung, um jetzt schon geköpft zu werden. Kopflos ist es dennoch nicht: Das tiefdunkle Elixier verströmt einen feien, ätherisch-fruchtigen Duft von dunklen Beeren (neben Cassis auch Lakritz, Schwarze Johannisbeeren, Holundergelee), Eukalyptus sowie Pfeffer und Muskatnuss, auch florale Noten deuten sich an.
Im Gaumen gibt sich der Grain Noir zunächst rund und von voller frischer, dunkler Frucht, rasch flankiert von einem strammen Rückgrat aus Säure und Tannin. Der Gerbstoff gibt sich noch jung und wild, fühlt sich aber dennoch bereits angenehm und geschmeidig an.
Trotz lediglich 13 Vol.-% präsentiert die Assemblage viel Power und eine schöne Balance zwischen dichter runder Frucht und straffer Struktur. Diesen Cru würde ich gerne in ein paar Jahren, bzw. Jahrzehnten, nochmals verkosten! Er macht mich aber jetzt schon glücklich… Ein Wein mit Attitüde, gemacht von einer Winzerin mit Attitüde.
Der Grain Noir 2015 ist kein lauter Wein, kein Effekthascher, kein King Kong. Eher ein verdeckter Superheld. Eine elegante Dame, die ihre definierte Kraft und ihren komplexen Charme mit feiner Klinge und seiltänzerischer Balance auf den Punkt bringt. Genauso habe ich Marie-Thérèse Chappaz jedenfalls erlebt, als sie Ende 2015 am «Villa d’Este Wine Symposium» am Comersee in Italien mit dem «Prix d’excellence» ausgezeichnet wurde – ihr Legendenstatus reicht nämlich nicht erst seit gestern weit über die Landesgrenze hinaus.
Eine internationale Botschafterin für Schweizer Wein
«Ich wusste nicht einmal, dass heute ein Preis verliehen wird», sagte die damals 55-Jährige in der für sie so typischen bescheidenen und natürlichen Art. «Wir haben so viel Potenzial und Diversität in der Schweiz. Doch um wahrgenommen zu werden, brauchen wir Feedback, Kritik und Zuneigung – ihr seid unser Spiegel.»
Mit der Auszeichnung wurde die Biodynamie-Pionierin aus Fully vor versammelter internationaler Weinprominenz für ihre Verdienste im Schweizer Weinbau geehrt.
«Marie-Thérèse Chappaz repräsentiert genau das, was Schweizer Wein darstellen soll: Ein Juwel der Alpen im Herzen Europas – sie ist eine Lokomotive, ein Leuchtturm für die Schweizer Weinwelt», erklärte Gilles Besse, Präsident von Swiss Wine Promotion.
Und José Vouillamoz, der Wallis wohnhafte Rebsorten-Spezialist, ergänzte: «Ich habe nie jemanden etwas Negatives über Marie-Thérèse Chappaz oder ihre Weine sagen hören. Über sie herrscht ein breiter Konsens in der Weinwelt. Sogar wenn man gut mit ihr befreundet ist, ist es schwierig, an ihren Wein zu kommen – jeder will ihre fantastischen Weine probieren. Chappaz gehört nicht nur zu den bekanntesten, sondern auch zu den glaubwürdigsten Winzern der Schweiz.»
Dies hat sie nun einmal mehr unter Beweis gestellt.
10 Fakten zu Marie-Thérèse Chappaz
Hat 1987 die ersten 1,5 Hektar Reben übernommen – im Alter von 17 Jahren
Ursprünglich wollte Chappaz Hebamme werden
Zunächst musste Chappaz ihre Trauben verkaufen, weil der Keller noch nicht ready war
Erster eigner Jahrgang 1988 – ein Jahr vor der Eröffnung des Kellers über Fully im Lieu-dit La Liaudisaz
Heute bewirtschaftet Chappaz 10 Hektar in Fully, Charrat, Leytron und Chamoson
Die Weine wachsen in einer Höhe von 450 bis 800 Meter über Meer
Internationale Bekanntheit hat Chappaz vor allem dank ihren Süssweinen erlangt
1997 Entschluss zur Biodynamie, ab 2002 biodynamisch, seit 2004 mit dem Demeter-Zertifikat
In der legendären kesselförmigen Steillage Combe d’Enfer wird es im Sommer bis zu 40 Grad heiss
Auszeichnungen: Winzerin des Jahres (Gault Millau 1996), Prix d’excellence (Villa d’Este Wine Symposium 2015), Schweizer Weinikone (Gault Millau 2016), zwei Mal 99/100 Parker-Punkte (2018)
Domaine d’Ardhuy: Savigny Premier Cru Aux Clous AOC 2015
Dieser Wein hat Attitude – er hat mir zur Begrüssung nämlich ins Gesicht gekotzt. Kein Scheiss. Kaum entkorkt, steigt mir ein beissender Geruch in die Nase. Eine Mischung aus Kotze und verschimmeltem, nassem Kellerkarton. Ich bin überzeugt, das Ding hat Kork. Perplex und wütend öffne ich eine zweite Flasche. Und eine dritte. Ohne Erfolg, der Wein bleibt ein widerspenstiges Scheusal.
Dabei hat der Savigny Premier Cru Aux Clous AOC 2015 von der Domaine d’Ardhuy bei der Verkostung beim Weindealer so umwerfend geschmeckt! Ein biodynamisch produzierter Pinot Noir aus dem Burgund, ausgebaut ohne Sulfit-Zusatz. Endlich einmal ein ungeschwefelter Roter, der nicht nach nassem Hund und Stahlwolle duftet…dachte ich damals.
Und nun habe ich den nassen Hund im Glas. Oder viel eher eine tote Ratte mit schimmligem Fell. Sind die fehlenden Schwefel-Stabilisatoren Schuld am Schlamassel? Haben alle drei Flaschen Kork? Befindet sich der – zugegeben noch sehr junge – Wein in einer schwierigen Phase? Ich bin ratlos.
Die Metamorphose – von der Stinke-Raupe zum Schmetterling
Drei Tage nach dem Drama zeigt sich die Diva von einer ganz anderen Seite – mit charmanter, tiefgründiger Eleganz statt Haaren auf den Zähnen. In der Nase dunkle Frucht (schwarze Johannisbeere, Sauerkirsche etc.), Eukalyptus, und eine süssliche Würze (Tabak, Schokolade, Lakritz); im Gaumen strukturiert, dicht, frisch und mit viel Zug. Balsamisch (je länger je mehr), griffige, noch etwas ruppige (weil junge) Tannine im Abgang plus eine leichte Herbe hintenraus – und viel Power. So macht die Sache Spass, der Zombie ist zum Leben erwacht! Vom Kotzbrocken zum Killer. Ein Wein, der sich in ein paar Jahren bestimmt wesentlich harmonischer präsentiert – nicht so schizophren.
Aber eines ist sicher: Meiner Liebsten würde ich diesen Wein für ihr Restaurant nicht empfehlen (was ich eigentlich vorhatte) – ausser sie hat Gäste, die sich eine halbe Woche gedulden können bis ihr Premier Cru geniessbar ist. In der heutigen Zeit, in der man alles hat – ausser Zeit. Jetzt muss ich nur noch die drei offenen Flaschen killen – bevor sie wieder ungeniessbar werden.
PS: Im Zalto-Burgunderglas hat der Wein am besten geschmeckt. Frischer, kompakter und geschliffener als etwa im Bordeaux-Glas, aus dem der Wein zwar runder, aber auch diffuser wirkt. Auch im Impitoyable Le Taster von Peugeot performt das Ding gut und wirkt noch einen Tick balsamischer, aber auch etwas staubig.