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Aran, Aran-Villette, Chasselas, Cortaillod, Domaine des Cèdres, Domaine Mermetus, Genfersee, Gutedel, Lac Leman, Lavaux, Martin Porret, Neuchâtel, Non Filtré, Sans filtre, Vincent Chollet, Vins Porret, Waadt

Trübe Aussichten können so schön sein! Traditionell am dritten Mittwoch im Januar haben kürzlich über 30 Winzer im Neuenburger Rathaus ihre frisch abgefüllte Spezialität lanciert – den Neuchâtel Non Filtré 2018. Ein trüber Kerl mit milchiger Farbe und sichtbaren Rückständen am Flaschenboden. Bei diesem Wein muss das so sein. Deshalb sollte die Flasche vor dem Genuss auch sanft umgedreht und geschaukelt werden. Wers härter mag, kann sie auch schütteln.
Was ist das für Zeug, das im Weisswein rumschwimmt? Es sind abgestorbene Hefen. Zu Lebzeiten haben sie den Fruchtzucker zu Alkohol vergoren. Jetzt sorgen sie für ein cremiges Mundgefühl und eine vielseitige Aromatik. Beim Non Filtré des jungen Winzers Martin Porret – er führt die Domaine des Cèdres in Cortaillod in sechster Generation – sind das zum Beispiel Noten von Brioche (typisch Hefe), Birne oder exotischen Früchten.
Der Wein gibt sich quietschfidel und äusserst vielseitig (siehe Verkostungsnotiz weiter unten). Nicht schlecht für einen Chasselas! Die wichtigste Schweizer Rebsorte ergibt oft eher neutrale Weine. Nicht so bei Porrets Non Filtré 2018, der im grossen, 90-jährigen Holzfass «Foudre N°1» ausgebaut wurde.

Die Non Filtré-Weine aus Neuchâtel sind vor allem aus zwei Gründen bekannt: Erstens gelten sie als erste trinkfertigen Vorboten jedes neuen Schweizer Jahrgangs. Zweitens werden die Weine, der Name sagt’s, ungefiltert abgefüllt. Eine Methode, die heute wieder chic ist. Vor allem bei Winzern, die ihren Wein so naturbelassen wie möglich abfüllen. «Bei manchen Crus sollte man nach dem Filtrieren lieber den Filter trinken als den Wein», hat mir der französische Biodynamie-Pionier Nicolas Joly einmal schmunzelnd verraten.
Bei manchen Crus sollte man nach dem Filtrieren lieber den Filter trinken als den Wein.“
Nicolas Joly (Coulée de Serrant)
Erfunden wurde der Neuchâtel Non Filtré aus Versehen, Kommissar Zufall ist nämlich auch ein guter Winzer: Nach einem trockenen Jahr mit magerer Ernte sassen 1975 auch die Weintrinker auf dem Trockenen. Um den Engpass zu überbrücken, füllte Winzer Henri Alexandre Godet seinen noch nicht filtrierten Chasselas-Jungwein in die Flasche – und landete einen Volltreffer. Es war die Geburt jener Spezialität, die die Neuenburger Winzer nun als «ersten Schweizer Wein des Jahres» zelebrieren.
Das Frühchen vom Genfersee
Der erste Wein? Nein! In einer von weltbekannten Winzern bevölkerten Region am Genfersee lebt ein Meister, der seinen Wein sogar schon Ende November abfüllt. Wenige Wochen nach der Ernte. Natürlich ungefiltert. Es ist Vincent Chollet (Domaine Mermetus) aus den als UNESCO-Welterbe geadelten Rebbergen des Lavaux (VD) mit seinem Blanc sans filtre 2018. Ebenfalls ein naturtrüber Chasselas, der vor dem Ausschenken gerne geschüttelt werden darf.

Anders als in Neuchâtel wird hier kein «fertiger» Cru abgefüllt: «Der Wein soll wie eine Fassprobe schmecken», erklärt Chollet. Es ist sozusagen die Erweiterung des Jungwein-Verkostung unter Winzerkollegen. Die Fassprobe duftet zunächst nach Cidre oder Apfelsaft – wegen der Apfelsäure, einem wichtigen Bestandteil im Traubenmost, die noch nicht zur milderen Milchsäure transformiert wurde. Der Sans Filtre ist ein frischer Wein mit leichter Kohlensäure und Zitrusaromen. Vincent Chollet bezeichnet seinen Sans Filtre gerne auch als «Beau Chollet Nouveau» in Anlehnung an die legendären «Beaujolais Nouveau»-Frühchen aus Frankreich.
Ob knackig wie der Sans Filtre vom Genfersee oder cremig wie der Non Filtré aus Neuchâtel – etwas haben die frühreifen Romands gemeinsam: Sie sind für weniger als 15 Franken zu haben. Gemessen an deren hohen Spassfaktor ist dieser faire Preis – ungefiltert gesagt – fast schon eine Frechheit.
Erstmals erschienen ist dieser Text am 26. Januar 2019 in der «Schweiz am Wochenende» (bz Basel). Die Kolumne erscheint alle zwei Wochen.
Verkostungsnotizen

Les Vins Porret (Domaine des Cèdres) – Non Filtré 2018 AOC Lavaux
Milchiges Strohgelb, ziemlich satte Farbe für so einen Jüngling. Opulentes Bouquet nach frischem Steinobst (Aprikose, reifer Pfirsich), Birne, Quitte und dezent auch exotischen Früchten (Sternfrucht etc.), dazu helle Würze, feine Hefenoten (Butterzopf) und eine gewisse Mineralik. Spritzig-prickelnd im Auftakt, sehr crèmig und viel vollmundiger als die 11,5 Vol.-% vermuten lassen, schöne Balance aus Frucht (auch Mandeln), Mineralik und Frische, hintenraus diese schöne Amertume, die ich bei Chasselas so schätze. Für einen Wein zu 11.50 Franken ist das eine Granate!

Domaine Mermetus – Blanc sans filtre 2018 AOC Cortaillod
Mittleres, leicht milchiges Zitronengelb mit Grünreflexen. Zunächst v.a. Aromen von Apfel und Hefe, auch reife Birne und Quitte spielen mit rein, dann Stachelbeere und etwas Agrumen, abgerundet wird das Bouquet von einer feinen Würzigkeit (weisser Pfeffer etc.) auch Nuss- und Mandelspuren sind auszumachen, auch Lindenblüte (je länger desto Chasselas) – da geht ziemlich viel für so einen ‚einfachen‘ Wein. Im Gaumen spritzig und mit lebendiger Säure, crèmige Textur vom Ausbau auf den Feinhefen – schönes Zusammenspiel von Frucht und Struktur. Frische Herbe im Abgang. Eine tolle «Fassprobe»!