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Floskeln sind die Pestbeulen der Kommunikation. Im Fussball, in der Politik und auch in der Weinwelt. Überschwängliche Jubelgesänge schaden der Glaubwürdigkeit einer ganzen Zunft. Dabei haben viele Winzer viel mehr auf dem Kasten – und zu sagen.

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Ernte gut alles gut? Nicht immer. Insbesondere in schwierigen Jahren gibt es zu oft rosa Wolken statt wahre Worte.

Der inflationäre Gebrauch von Floskeln beim Anpreisen von Weinen – vor allem des neusten Jahrgangs – erweckt oft den Anschein einer heilen Postkartenwelt, in der glückliche Winzer durch ihre Rebberge schlendern und im Einklang mit Natur und Kosmos Zaubertränke keltern, die jedem Wein- freund eine Offenbarung sind. Guter Wein entsteht im Rebberg, dieser ist natürlich bio, aber nicht zertifiziert, im Keller wird der werdende Wein nur noch begleitet, und der aktuelle Jahrgang ist, wie immer, hervorragend. Alles rosa. Doch wenn alles herausragend ist, ist nichts herausragend.

So idyllisch, wie uns das manche Winzer, PR-Agenturen oder Medien weismachen wollen, ist die Lage meist nicht. Die Ökobilanz im Weinbau ist nicht so rosig, wie es die sanft im Wind wiegenden Reben vermuten lassen. Chemikalien werden gespritzt, Kunstdünger wird ausgebracht, als Gärungs-Turbo gibt’s auf Fleischabfällen gezüchtete Reinzuchthefen, geschwefelt wird mit einem Nebenprodukt der Erdölproduktion, und wer seinen Wein schönen will, kann mit Hühnereiweiss oder Fischblase Klarheit schaffen. Das hat wenig mit Weinromantik zu tun, ist aber in vielen Betrieben normal. Das ist nicht unbedingt verwerflich, sondern Alltag.

Wein-Schönsprech schadet der Credibility!

Was aber sauer aufstösst, ist das Marketing-Trugbild, dass selbst der trivialste Supermarktwein wie von alleine entsteht. Natur pur. Ein Elixier aus Sonne, Erde und Wasser, das am Ende nur noch abgefüllt werden muss. Klar, kein Winzer kann es sich leisten, zu sagen: «War ein Scheissjahr, kauft lieber andere Weine.» Aber jedes magere Jahr mit blumigen Wortkonstrukten schönreden – das schadet der Glaubwürdigkeit. Vor allem wenn im Folgejahr (beim Verkauf des allerneusten Jahrgangs) die ungeschminkte Einschätzung ans Licht kommt und der Winzer plötzlich frischfröhlich über die Mäkeleien des (inzwischen verkauften) Vorjahres plaudert.

Nicht jeder Weintrinker hat das Wissen oder die Muse, um zu erkennen, was bleibt, wenn der rosa Vorhang fällt und Fakten statt Floskeln zählen. Dank Internet hat heute zwar jeder mit wenigen Klicks Zugriff auf Zehntausende Weinbewertungen und Verkostungsnotizen. Verloren im endlosen Weinuniversum ist man aber nach kurzer Suche oft gleich schlau wie vorher. Aber es gibt immer mehr Winzer, die via Social Media einen fundierten Einblick in ihre Arbeit bieten. Auch in den weniger glorreichen Alltag abseits goldener Ernteszenen. Da wird auch mal ein Zuckersack in die Kamera gestreckt. Oder ein Winzer zeigt in einem verwackelten Handyvideo seine frisch vom Hagel zerstörten Rebtriebe.

Direkter Draht statt Floskeln

Der Konsument soll ruhig wissen, dass Weinmachen kein Zuckerschlecken ist. Winzer-News, straight aus dem Rebberg. Der direkte Online-Draht zu den Weinproduzenten macht uns nicht nur unabhängiger von Wein- PR und kitschigen Klischees – er emanzipiert die Winzer auch von der Deutungshoheit durch aussen. Authentizität, Einzigartigkeit, Mut und Originalität werden so – neben professionellem Handwerk als Basis – zum Motor einer Branche, deren Macher heute so gut ausgebildet und vernetzt sind wie nie zuvor. Auch deshalb, das darf man nicht vergessen, häufen sich die Jubelmeldungen. Sehr viele Winzer verrichten sehr gute Arbeit. Sie haben es nicht nötig, sich von Phrasendreschern weichwaschen zu lassen. Auch nicht von trittbrettfahrenden Produzenten, die sich die gängigen Floskeln ebenfalls angeeignet haben. Sie strecken ihr Vokabel-Fähnlein in den Fahrtwind der Vorreiter, ohne wirklich nach deren Philosophie zu arbeiten. Damit schaden sie nicht nur jenen, die den Karren effektiv ziehen, sondern der ganzen Zunft.

Umso schöner, dass viele Winzer heute kein Weinblatt vor den Mund nehmen und zeigen, welcher Aufwand hinter einem guten und nachhaltig produzierten Wein steckt. Sie lehren uns, Unterschiede zu schätzen und anzuerkennen. Auch «schwache» Jahrgange verdienen Aufmerksamkeit… aus Trotz, aus Prinzip – und weil sich Prognosen sowieso nicht so einfach verallgemeinern lassen. Dafür ist Mutter Natur, ist Wein, zu launisch. Erfreuen wir uns an ihren Überraschungen und ihrer Magie. Sie sind das Gegenteil der glattgebügelten Floskeln.

Dieser Artikel ist erstmals in der VINUM-Ausgabe 01-02/2017 erschienen.